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Konservativ und Revolutionär: Über Arnold Schönberg

2023-08-17
Zeit zum Lesen 7 min
Dem gelegentlichen Hörer von Sinfoniekonzerten ist Arnold Schönberg (1874-1951) gemeinhin als einer der kühnsten Modernisten der Musikgeschichte bekannt. Überraschend ist jedoch für viele Menschen, die sich einmal näher mit seiner Biographie beschäftigen, dass er alles andere als politisch progressiv war.

Sein Biograph Willi Reich brachte dies einmal auf die Wendung des »konservativen Revolutionärs« und Hanns Eisler, Schüler des Wiener Komponisten, führte noch pointierter aus: »Er ist der wahre Konservative: er schuf sich sogar eine Revolution, um Reaktionär sein zu können.« Die freilich fehlgeleitete Dichotomie von Konservatismus und Reaktionismus kann wohl der politischen Verortung Eislers zugeschrieben werden; zweifellos aber treffen die Stichworte »konservativ« und »Revolution« Werk und Wesen Schönbergs sehr präzise. Schönberg wurde in der Zeit der ausgehenden Donau-Monarchie sozialisiert und war durch diese derart geprägt, dass deren Ende – dass sich freilich über einen längeren Zeitraum anbahnte – durchaus als tief einschneidende Erfahrung wahrgenommen wurde. Das Jahr 1918 war ihm in seiner historischen Bedeutung wohl auch gänzlich bewusst; darauf deutet nicht zuletzt eine Notiz hin, die sich zwar auf musikästhetische Fragen bezieht, aber mit ihrem Verweis auf das Gründungsjahr der Ersten Republik deutlich macht, dass hier auch gesellschaftliche Veränderungen angesprochen werden. Er bemerkt:

»Das Zeitalter der Romantik hat im November 1918 seinen Abschluss gefunden. Bekanntlich. Von da an beginnen mehrere funkelnagelneue Zeitalter: das des Folklorismus, das des Rhythmus, das der Antiromantik, das des neuen Klassizismus und (außer noch manch anderen), dass der neuen Sachlichkeit. Und man muss froh sein, dass auf das eine (schlechte) romantische Zeitalter so viele bessere unromantische gefolgt sind. Man weiß wenigstens: Vielleicht hört sich manchesmal alles auf, aber die Zeit wenigstens hört nicht auf.«[1]

Daraus spricht nicht zuletzt die Verachtung, die Schönberg gegenüber der Annäherung an gängige Moden hegte. In seinem Schaffen hat er dieser Missbilligung auch einmal musikalischen Ausdruck verliehen, namentlich in den Drei Satiren op. 28, die sich sämtlich mit kompositorischen Idiomen der zwanziger Jahre und ihren jeweiligen Vertretern beschäftigen. Nun ist das Schicksal mancher Komponisten, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges weiterhin ein gewissermaßen romantisches Idiom pflegten, durchaus bekannt: Franz Schreker, einer der erfolgreichsten Opernschaffenden am Anbeginn des 20. Jahrhunderts, verlor mehr und mehr die Gunst der einst zahlreichen Zuhörer. Selbst Richard Strauss hatte in dieser Zeit durchaus nicht mehr den Erfolg früherer Zeiten. Zu den beliebtesten Werken auf den Opernbühnen jener Zeit rechnete stattdessen Ernst Křeneks Johnny spielt auf, ein mit Jazzartigen Klängen versehenes Werk, Paul Hindemiths Neues vom Tage und selbstredend auch das Musiktheater von Kurt Weill. In Frankreich entstanden zur gleichen Zeit die sogenannten Opéras-Minute, die in ihren Dimensionen freilich eine Absage an die Opernwerke des späten 19. Jahrhunderts darstellen.

Die Schule Arnold Schönbergs scheint in ihren Maximen und Postulaten diesen Komponisten und ihren Werken – der »Zwölfton-Operette« Von Heute auf Morgen zum Trotz - gänzlich zu widersprechen. Obgleich sie den modischen Erscheinungen ihrer Zeit nicht folgte, galt sie als vorderste Avantgarde und die ihr zugehörigen Komponisten als Vertreter einer Musik, deren Zeit längst noch nicht gekommen schien. In der Tat empfanden sich Schönberg und seine Schüler als verschworene Elite und ihre Bemerkungen über die zeitgenössischen Kollegen zeigen dies noch einmal deutlich auf. Was sie von diesen unterschied, war eine gegenwärtig kaum mehr anzutreffende Spielart des Konservatismus, der künstlerisch radikal-modernistische Positionen mit der Tradition zu vereinen suchte. Musikalische Beispiele für diese Haltung zeigen gewiss die frühesten dodekaphonischen Werke auf: In der Serenade op. 24 wird die neue Kompositionstechnik auf klassische Formen wie Menuett und Marsch – und selbst die Weise Ännchen von Tharau wird hier in vielzähligen Variationen aufgenommen.

Schönbergs hat die Rückbindung an die Musik der Meister vergangener Epochen niemals aufgegeben; ein Übergehen des romantischen Zeitalters, wie es manche Komponisten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges proklamierten, wäre für ihn, der Komponisten wie Brahms, Wagner, Mahler und Reger in seinem Kompositionsunterricht anführte, undenkbar gewesen. Über eine gänzliche Absage an die Musikgeschichte, wie sie durch die Darmstädter Avantgarde der fünfziger Jahre proklamiert wurde, hätte er nur ungläubig gestaunt – wohl auch deshalb, weil diese auch ihn selbst alsbald nicht mehr als Autorität anerkannte und ihn gerade ob seiner Nähe zu den klassischen Formen eher misstrauisch wahrnahm.

Es ist von besonderer Bedeutung, dass Schönberg die Musik vergangener Epochen in seinen Unterricht aufnahm. Er wollte, wie er in seinem großen Lehrbuch, der enorm einflussreichen Harmonielehre, bekannte, keine »schlechte Ästhetik«, sondern eine »gute Handwerkslehre« vermitteln. Er sah jedoch nicht allein die genaue Kenntniss der musikalischen Vergangenheit als wesentlich an, er begriff sich auch als in einer historischen Kontinuität stehend und verwies immer wieder darauf, von den Klassikern gelernt zu haben. Sein Aufsatz Brahms der Fortschrittliche und weitere Texte zu Bach, Liszt und Mahler lassen dies weithin deutlich werden.

Darin liegt nicht nur ein wesentliches Element des Musikverständnisses Arnold Schönbergs, es kennzeichnet auch das Schaffen seiner bedeutendsten Schüler Alban Berg und Anton Webern. Gerade in der Musik Bergs finden sich vielzählige Anklänge an das Schaffen Gustav Mahlers – man denke nur an die vielzähligen Volksliedzitate des Wozzeck und an die aus weiter Ferne klingende Musik des Violinkonzertes. Die Allusionen an die vertraute Dur-Moll-Tonalität – beide genannten Werke stehen auch hierfür ein – haben ihm schon zu Lebzeiten den größten Erfolg der Komponisten der Wiener Schule gesichert. Webern galt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als einziger Anknüpfungspunkt der jungen Generation; man erkannte in seinen Werken den Ansatz zu einem strukturorientierten Komponieren, einer, wie Karel Goeyvaerts es beschrieb, »Objektivierung des Klangkomplexes«. Weberns Schaffen irritiert bis heute und rätselhaft ist auch seine Person geblieben. Auf der musikalischen Ebene verbindet er Kompositionstechniken mittelalterlicher Provenienz mit einer besonders strengen Auslegung der Zwölftontechnik Schönbergs und einer äußerst gewählten Instrumentation. Zu den Texten die er vertonte, zählte einerseits ein Volksdichter wie der Steirer Peter Rosegger, andererseits auch solche, die der vordersten Avantgarde zugehörten: Georg Trakl, Karl Kraus und Rainer Maria Rilke. Seine Musik weist gleichermaßen in die ferne Vergangenheit und in die Zukunft, an die Schönberg und Webern fest geglaubt haben: »Meine Melodien wird noch der Briefträger pfeifen«, bemerkte letzterer laut seinem kurzzeitigen Schüler Karl Amadeus Hartmann. Das Oberhaupt der Wiener Schule war zwiegespaltener: »Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wird durch Überschätzung schlecht machen, was die erste Hälfte durch Unterschätzung gut gelassen hat an mir.«

Schönbergs Biograph Alexander Ringer verwies darauf, dass dieser in der Vergangenheit stets die Zukunft fand; er selbst bezeichnete sich als Konservativer, ergänzt um den Hinweis, dass er »den Fortschritt erhalte«. Gesellschaftlich lässt sich solcher Fortschritt bei ihm nicht erkennen, er blieb dem Gedanken der Donaumonarchie verhaftet. Als der Fürst zu Fürstenberg (ein Förderer zeitgenössischer Musik und Begründer der bis heute bestehenden Donaueschinger Musiktage) ihn zu einer Aufführung eines seiner Werke einlud, reagierte Schönberg mit einer Ergebenheitsadresse:

»Das herrliche Unternehmen in Donaueschingen habe ich lange schon bewundert; diese Unternehmen, das an die schönsten, leider vergangenen Zeiten der Kunst gemahnt, wo der Fürst sich schützend vor den Künstler gestellt und dem Pöbel gezeigt hat, daß die Kunst, eine Sache des Fürsten, sich gemeinem Urteil entzieht. Und nur die Autorität solcher Personen vermag, indem sie den Künstler teilnehmel läßt and der Sonderstellung, die eine höhere Macht gegeben, diese Abgrenzung allen bloß Gebildeten und Hinaufgearbeiteten sinnlich faßlich vorzuführen, und darzutun den Unterschied zwischen Gewordenen und Geborenen; zwischen denen, die mittelbar zu einer Stelle und Tätigkeit gelangt, und denen, die unmittelbar dazu geboren sind. Darf ich somit, Durchlaucht, meine größte Bewunderung für die groß Tat ausdrücken, die die Donaueschinger Kammermusikaufführungen im Kulturleben darstellen, so geschieht es nicht ohne stolz zu sein auf den schmeichelhaften ruf, durch den Sie mich ehren.«[2]

Dies war keine einmalige Gelegenheit; so lehnte er die Einladung eines Schülers zu einem Konzert in die Hofburg ab, weil diese allein vom Kaiser ergehen könne. Gegenüber der neu errungenen Demokratie hegte er große Skepsis und vielleicht lässt sich dies auch vor dem Hintergrund verstehen, dass mancher Intelektuelle dieser Zeit die Abwehrreaktion gegenüber neuer Kunst mit dem Liberalismus in Verbindung brachte. Ernst Křenek führte beispielhaft in seinem Aufsatz Fortschritt und Reaktion aus, dass es »bezeichnend ist, dass selbst in der Blüte des Liberalismus die fortschrittliche Kunst Wagners durch die Hilfe feudaler Faktoren gegen die Autorität liberaler Kritiker durchgesetzt werden kann, trotzdem sie uns im Nachhinein als besonders vollkommener Ausdruck ihrer Zeit erscheint.« Weiterhin macht er auf ein Phänomen aufmerksam, dass bis heute bemerkbar ist: »Erst in dieser bürgerlichen Zeit hat sich in Oper und Konzert jenes stehende Repertoire entwickelt, das heute vorherrscht. Bis dahin, also bis in den Vormärz, wurde grundsätzlich immer Neues aufgeführt und nur ausnahmsweise Altes, während heute bestenfalls das umgekehrte Verhältnis vorliegt.«[3] Es scheint annehmbar, dass Schönberg sich auf diesen Sachverhalt bezog, als er einmal schrieb: »Seit Wenigstens hundert Jahren bin ich sicher der einzige Komponist meines Ranges, der noch nicht vom Erträgnis seines Schaffens leben kann, ohne durch Unterricht sich sein Brot verdienen zu müssen.«[4]

Schönberg war nicht nur Komponist, sondern auch Maler und brachte es auch in dieser Rolle zu einiger Anerkennung; seine Werke wurden in den Ausstellungen des Blauen Reiters gezeigt, mit Kandinsky stand er in brieflichem Austausch. Als Autor verfasste er viele der von ihm vertonten Texte selbst, darunter etwa das Libretto zu seiner Oper Moses und Aron. Daneben war er ein spekulativer Geist, der eine Vielzahl von Erfindungen hervorbrachte, darunter etwa ein Koalitionsschach für vier Personen, eine Notenschreibmaschine oder auch eine Umsteigekarte für die Straßenbahn. Der Musikwissenschaftler Constantin Floros, mit der Wiener Schule durch Studien zu Alban Berg wohl vertraut, bezeichnete ihn einmal als ein Genie, mit Richard Wagner und Leonardo Da Vinci vergleichbar.[5] Vielleicht eignen sich solche Annäherungen, um die Verbindung von Konservatismus und künstlerischer Avantgarde wieder aufzugreifen, diese vielleicht ganz neu zu denken.

 


[1] Zit. n. Scherließ, Volker: Neoklassizismus: Dialog mit der Geschichte, Kassel 1998, S.254

[2] Schönberg an Max Egon II. zu Fürstenberg, 29. April 1924

[3] Křenek, Fortschritt und Reaktion, in: Heinz-Klaus Metzger/Rainer Riehn (Hrsg.) Ernst Křenek (Musik-Konzepte Band 39/40), München 1984

[4] Zit. n. https://www.spiegel.de/kultur/rache-fuer-den-eigentlichen-a-3bc50811-0002-0001-0000-000046266503

[5] Floros, Neue Ohren für neue Musik, Mainz 2006, S. 24

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