Es fällt nicht schwer, die Theaterlandschaft angesichts der dargebotenen Programme zu kritisieren. Kommt die Rede jedoch einmal auf das Kulturleben, so werden zumeist andere Fragen thematisiert. Insbesondere Vertreter eines Vulgärpopulismus sprechen die Kosten von Theatern, Orchestern und anderen Kulturträgern an, zumeist mit einem Furor, der keine weitere Diskussion zulässt. Zwei Beispiele: Julian Reichelt mokiert sich über die Tätigkeit einer Bundestagsabgeordneten der Grünen, die als Regieassistentin tätig war, klammert deren Unbildung jedoch aus. Vor kurzem sprach der CDU-Politiker Carsten Linnemann über Senkungen des Rundfunkbeitrags und brachte dabei die Schließung der Klangkörper der Sendeanstalten ins Spiel; obgleich das wahre Problem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – tendenziöse Berichterstattung und deutliche Präferenz für das linke Parteienspektrum – kaum berührt wird.
Diese beiden Fälle zeigen auf, dass im sogenannten bürgerlichen Lager (inzwischen?) wirtschaftliche Themen Fragen der Kultur dominieren. Darin liegt freilich eine große Gefahr, denn während Beitragserhöhungen und -senkungen kommen und gehen, dürfen für die Kunst im Wesentlichen zwei Optionen konstatiert werden: Sie ist präsent (und das eben vor allem durch Museen, Theater, Konzerthäuser) oder sie verschwindet. Derzeit scheint letzteres wahrscheinlicher zu werden und zwar insbesondere aufgrund der Aufgabe zweier Grundpfeiler, die ihm einst Relevanz verliehen: Unterhaltung und Diskurs. Präziser gesagt: Beide Aspekte wurden überdehnt und so bedeutet Unterhaltung heute zumeist Komödie (oder Annäherung an Pop) und Diskurs die Beschäftigung mit Themen des Zeitgeistes. Ein solches Theater spricht in Wahrheit oder einen äußerst überschaubaren Kreis an und leere Ränge sind ein dankbares Ziel wirtschaftsliberaler Politik, der echter Konservatismus – und für diesen stehen Theater letztendlich – stets ein Dorn im Auge war.
Damit hat sich vielleicht schon angedeutet, dass die Kulturinstitutionen von verschiedener Seite unter Druck stehen. Während ehemals bürgerliche Kräfte kulturellem Erbe mit Zahlen beizukommen versuchen, wächst andererseits auch der Druck des linken Lagers, dessen Ideen jedoch nicht selten dankbare Annahme unter den Theaterschaffenden finden. Für die Kulturpolitiker der entsprechenden Parteien sind die Theater- und Opernhäuser verdächtig und nicht länger Orte tiefer Humanität (»Wem der große Wurf gelungen…«) und Erkenntnistiefe (»Wort, du Wort, das mir fehlt«), sondern gewissermaßen Tatorte aus zweiter Hand. Die Schuld steckt dabei nahezu überall: In den Bildbezeichnungen von Künstlern des deutschen Expressionismus, in den Libretti barocker Opern und in der Biographie Mozarts, der durch die Fakultät für Musik der University of Oxford als »Rassist« gebrandmarkt wurde… Man könnte nun argumentieren, dass entsprechende Gedankengänge in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Seminaren entstehen und nicht zwingend an den Orten künstlerischer Ausübung wirken müssten. Das scheint zunächst so richtig, wie es bei näherer Hinsicht naiv ist; denn die meisten Entscheidungsträger der Kulturlandschaft sind eben Absolventen solcher Fächer, die den geisteswissenschaftlichen Fakultäten angehören: Neben Studiengängen wie Germanistik, Theater- und Literaturwissenschaften wären hierbei auch manche Orchideenfächer zu nennen und es ist nicht auszuschließen, dass demnächst auch Critical Race Theory und Gender Studies hinzukommen.
Entsprechend sind Auswirkungen auf den Kunstbetrieb vorprogrammiert und auch schon bemerkbar; ausgeprägte Xenophilie tritt hierbei meist zusammen mit einer gesteigerten Skepsis gegenüber dem kulturellen Erbe Europas auf. Eine in Lateinamerika spielende Oper Henry Purcells darf ihren eigentlichen Titel (The Indian Queen) nicht mehr tragen; der Wozzeck Alban Bergs hingegen wird oftmals nicht länger hinsichtlich seiner philosophischen Fragestellungen (Willensfreiheit, Leib-Seele-Problem) befragt, sondern ob seiner Darstellung des Femizids – der freilich nichts anderes als das Resultat der demütigenden Behandlung Wozzecks ist. Man zentriert folglich Nebenhandlungen und gibt die eigentlichen Ambitionen auf. Bizets Carmen, ein Kernstück des Repertoires, wird heute insbesondere hinsichtlich der Geschlechterrollen (verbunden mit der besonders innovativen Idee, Männer in Frauenkostümen und umgekehrt auftreten zu lassen) thematisiert…
Die Theater- und Opernhäuser waren seit jeher immer auch Gegenwelten, Orte, die ästhetisch herausforderten und zu einem Stachel im Fleisch des Diskurses werden konnten. Gegenwärtig hingegen schmückt sich manches Haus mit der sogenannten Pride Flag – einem Symbol, dass in Deutschland vor nahezu jeder Filiale einer großen Supermarktkette zu sehen ist.
So bedauerlich der Zustand der Theater ist – er verdankt sich nicht zuletzt dem Sachverhalt, dass sich das bürgerliche oder konservative Lager lange Zeit nicht für diese Betriebe interessiert hat. Darin sind die Theater den Medienanstalten durchaus vergleichbar, in denen konservative Stimmen ebenfalls ausgestorben scheinen. Das linkspolitische Lager hingegen ist an den Bühnen und Opernhäusern hingegen durchaus interessiert und wird nicht müde, diese für die eigenen Themen zu vereinnahmen - man beachte nur einmal die vielzähligen Aktivitäten der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in den Bereichen der Kulturträger und deren Annahme unter Theatermitarbeitern, insbesondere freilich in den unmittelbar künstlerischen Bereichen wie Regie und Dramaturgie. Dieses schwere Versäumnis ist an den Bühnen ebenso folgenreich wie in den öffentlich-rechtlichen Medien und müsste eiligst korrigiert werden – aber welche Partei des bürgerlichen oder konservativen Spektrums hat ein ernsthaftes Interesse an den Inhalten der Kunstwelt? Wirtschaftliche Fragen scheinen eine Auseinandersetzung mit kulturellen Gehalten gänzlich verdrängt zu haben und die Folge ist, dass inhaltlich vor allem jene Themen Behandlung finden, die einseitig dem gegenwärtigen Zeitgeist zugeordnet werden können.
Um die Bedeutung des Theaters als Ort der Pflege des abendländischen Kunstbegriffs wird es erst wieder besser bestellt sein, wenn es sich wieder auf eben diesen beruft. Von dem Komponisten Ernst Křenek (1900-1991) stammt die Losung »konservativ und radikal«, die auch heute wieder fruchtbar sein könnte. Darunter verstand er, dass in einem konservativen Gefüge die radikalsten, kühnsten künstlerischen Tendenzen sich entwickelten. Ein Zitat aus einem seiner Essays der dreißiger Jahre könnte ebenso gut auf die Jetztzeit übertragen werden: »Von hier aus gesehen dürfen wir ruhig behaupten, dass diese mit der Besinnung auf den wesentlich christlichen Zustand des Abendlandes zusammenhängende geistige Erfrischung als kultureller Fortschritt zu betrachten wäre, während überall da, wo die materialistischen Inhalte unter welchen zufälligen politischen Vorzeichen immer nach Prävalenz streben, die Reaktion festzustellen ist.«
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