« Hier, il s’agissait de sauver notre âme ; aujourd’hui, il s’agit de sauver la planète, et avec elle, sûrement, aussi notre âme. » (262) – so lautet einer der vielen treffenden und mitreißenden Formulierungen des neuen, bereits hochumstrittenen Buches von Julien Rochedy, in dem es um nichts weniger als eine neue konservative Ökologie geht. Und in der Tat wurde es dafür dringend Zeit.
Denn auch im Bereich der Ökologie sind die „Konservativen“ seit einem halben Jahrhundert faktisch überrollt worden, ohne eine eigenständige Position zum Thema formuliert zu haben. Während die einen immer wieder beteuern, Umweltschutz sei doch ein konservatives Anliegen und man verstehe es nicht, wieso aus einem Teilbereich sozialen Handelns eine ganze holistische, weitgehend anti-konservative Bewegung entstehen konnte, lehnen die anderen jeglichen ökologischen Ansatz ab und brüsten sich vielmehr mit ihrer ökologie-feindlichen Lebensweise: Weil grüne Politiker das Benzin verteuern wollen, kaufen sie ganz bewußt einen SUV. Beide Ansätze sind faktisch naiv und zum Scheitern verurteilt; der erste, weil er durch sein „Ja, aber“ unfreiwillig den Ansatz des Gegners bestätigt und sich somit unglaubwürdig macht, der zweite, weil er im kindischen Nein-Sagen verharrt. Was könnte also die Lösung sein?
Hier liefert das neue Buch von Julien Rochedy, „Surhommes et sous-hommes“, einen hochinteressanten Ansatz. Um es vorab zu klären: Der Titel des Werks ist zwar nicht ganz, aber doch zumindest teilweise irreführend gewählt, was die logischen Assoziationen betrifft, die eine solche Titelwahl unweigerlich erweckt. Zwar wählt Rochedy in der Tat – wie so oft – einen nietzscheanischen Ansatz für seine eigene Weltdeutung, doch handelt das Buch nur in zweiter Linie von jenem fundamentalen Gegensatz zwischen „Übermensch“ und „Untermensch“ und versteht diese Termini, wie ja auch bei Nietzsche selbst, nicht in einer biologistischen, sondern einer psychologischen Perspektive. Im Zentrum steht vielmehr die Frage nach der konkreten politischen und lebensweltlichen Konsequenz dieser Dichotomie für unsere tägliche (und künftige) Lebenswelt; ein Thema, das von Nietzsche damals noch weitgehend ausgeblendet wurde bzw. höchstens in seiner historischen Dimension (etwa in Bezug auf die Überwindung der Antike durch das Christentums) analysiert wurde. Rochedy hingegen nutzt das moralische Werkzeug (oder besser gesagt: den moralischen Hammer) Nietzsches, um einen neuen Zugang zur Technikphilosophie der Moderne zu entwickeln und daraus die Schlüsse für unsere mögliche Zukunft zu ziehen.
Im Zentrum stehen letztlich zwei Gedanken. Auf der einen Seite verbindet Rochedy den Nietzscheanischen „Untermenschen“ bzw. „letzten Menschen“ mit jener zunehmend wachsenden Menge bereits posthistorischer Individuen, die aus Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Feigheit, Dekadenz und übertriebender Sensibilität jene „mégamachine“ in Gang gesetzt haben; jene technologisch-organisatorische-hochkapitalistische Zivilisationskrake, welche dem Menschen zwar die Erfüllung seiner meisten materiellen Wünsche gewährleistet, aber um den Preis seiner weitgehenden Entfremdung von Natur und Selbstbehauptung und natürlich der allmählichen Zerstörung der Natur selbst. Auf der anderen Seite finden wir den Nietzscheanischen „Übermenschen“, also jene letzten „aristokratischen“ Geister, welche sowohl in Verbundenheit mit der Natur leben als auch durch ständigen Kampf über sich hinauswachsen wollen.
Hieraus leitet sich bereits die Schlußfolgerung ab, die in den französischsprachigen konservativen Medien für einiges Aufsehen gesorgt hat: Rochedy sieht im Einsatz für Naturschutz und Nachhaltigkeit den Schlüssel auch des politischen Kampfes der Zukunft und fordert gerade die Konservativen auf, sich ihr mit Haut und Haar zu verschreiben, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen, da er in der Bewahrung der Natur und dem Abbau der „grande machine“ den einzigen Weg sieht, erneut aristokratische und antimodernistische Ideale zu erwecken; zum anderen, weil die umfangreichen Umwälzungen, die zu diesem Zweck erforderlich sind, ein ideales Mittel darstellen könnten, erneut die politische Rechte an die Macht zu bringen und ein System zu schaffen, in dem dies auch für viele Generationen so bleiben wird.
Freilich handelt es sich hierbei nicht um die herkömmliche liberal-konservative „Rechte“, von der Rochedy eine solche Entwicklung erwartet, da diese gar nicht begriffen habe, daß der Ökologismus ein Verbündeter, kein Gegner im Kampf gegen die Ausartungen der Moderne sei: „[La droite], après avoir été logiquement antimoderne en somme, la voilà se mettre désormais… à défendre la modernité ! – … au moment précos où celle-ci vacille ! – On en rirait volontiers si ce nétait pas catastrophique. » (275) Vielmehr schwebt Rochedy eine Art Fusion zwischen rechter und grüner Elite vor, bei denen die ersten sich endlich der Natur zuwenden, während die letzteren begreifen, daß aus dem Schutz natürlicher Biotope notwendigerweise auch Liebe zur Region, zur Nation und zur Zivilisation erwachsen müssen: „Un camp inédit comprenant des écologistes de gauche anticapitalistes et des écologistes de droite antimodernes se rassemblera pour lutter ensemble contre la mégamachine infernale et fondre leurs diverses sensibilités en une nouvelle idéologie qui prendra en main le distin de la civilisation occidentale.“ (279) Freilich spart Rochedy nicht mit Kritik an den herkömmlichen Grünen; aber nicht, weil er ihre ökologische Grunddiagnose für falsch halten würde – Rochedy scheint ehrlich vom Klimawandel überzeugt zu sein –, sondern weil er ihr Inkonsequenz vorwirft: „On ne peut pas vouloir, comme les écologistes de gauche qui tiennent aujourd’hui le haut du pavé de l’écologie politique, le chaos ethnique et l’ordre écologiqe en même temps. » (272)
Natürlich bedeutet dies eine weitgehende Absage an all das, was bislang als typisch für die abendländische Zivilisation betrachtet wurde, allem voran jenem „faustischen“ Drang, der keine Grenzen und keine Schranken akzeptieren will, sondern Ausdehnung, Wachstum, Dynamik, kurzum jenes habsburgische „Plus Ultra“ zur Grundlage seiner gesamten Seinsweise gemacht hat. Faust und Prometheus sollen keine Ideale mehr sein, sondern beschreiben vielmehr einen vielleicht nötigen, aber schädlichen „Umweg“ der europäischen Geschichte: „Imaginer Prométhée découvrant que le feu sacré qu’il a dérobé ne servait en fat qu’à l’immoler“ (253). Rochedy schwebt dementsprechend eine systematische Selbstbeschränkung, Vereinfachung, Neuverwurzelung und bewußte Verlangsamung aller zivilisatorischen Prozesse vor, in Kombination mit einer deutlichen Bevölkerungsreduzierung – eine „Biocivilisation“, unter der er eine „mélange du meilleur de l’archaisme et du meilleur du progrès“ (276) versteht (der Begriff des „Archäofuturismus fällt seltsamerweise nicht); eine Gesellschaft von „Athéniens futuristes“ (280), an deren Spitze freilich eine neue Elite von Wächtern steht, die mit man in jenen öko-nietzscheanischen „Übermenschen“ suchen muß, welche dem Buch ihren Titel geben: „Si le destin de notre civilisation est de devenir un grand, prospère et magnifique jardin, les premières choses dont elle devra se doter seront, tout naturellement, des murailles et des gardiens.“ (271)
So idyllisch-nietzscheanisch dies in den Ohren mancher Konservativen klingen mag (denen auch der Gedanke an eine radikale und notfalls mit Berufung auf den Klimanotstand durchgesetzte Neuverwurzelung der Völker gefallen dürfte), ist es doch kein Wunder, daß Rochedys Projekt von vielen französischen Rechten massiv kritisiert wurde; teils zu Unrecht, teils zu Recht.
Zu Unrecht, wenn aus dem Haß auf die ideologische Oberhoheit des Ökologismus eine trotzige Behauptung einer ultraliberalen Konsumgesellschaft abgeleitet und nicht eingesehen wird, wie interessant und letztlich grundkonservativ in der Tat viele der Positionen der grünen Bewegung sind, die man mit Rochedy geradezu als neue morphologische Speerspitze der abendländischen Metamoderne zu betrachten hat: « Les écologistes sont le nec plus ultra de l’Occident en amorcant la nouvelle métamorphose de formes dont nous avois besoin pour être, c’est-à-dire, chez nous, renaître sans cesse. […] Sans en avoir conscience donc, ils poursuivent ainsi le destin de la civilisation occidentale qu’ils croient pourtant, à l’heure actuelle, stupidement détester. » (260)
Zu Recht, wenn auch eher theoretisch, wenn die mangelnde transzendente Verankerung jener „futuristischen Athener“ kritisiert wird. Seit langem arbeitet Rochedy sich an seiner Positionsbestimmung gegenüber dem Christentum ab, betrachtet dieses aber wesentlich aus nietzscheanisch-psychologischer oder aber aus historischer Perspektive, kann sich aber nur schwer zu einer wirklichen Akzeptanz der Transzendenz nicht nur Gottes, sondern auch der menschlichen Seele nicht wirklich durchringen. Zwar kann man ihm nur uneingeschränkt zustimmen, wenn er schreibt : « Vouloir un renouveau du christianisme sans remettre en cause la modernité et le techno-capital est une position, au choix, stupide ou hypocrite. » (278) Auch scheint er zu hoffen, daß in seiner künftigen Welt auch das Christentum eine ideologisch tragende Rolle spielen könnte: « Il y a donc de quoi espérer entre une rencontre future plus ou moins harmonieuse et plus ou moins complète entre écologie et christianisme pour voir naître, qui sait ? un écochristianisme aux accents franciscains » (267). Doch bleibt er letzten Endes faktisch dem Pantheismus und der Immanenz verhaftet und glaubt an die Möglichkeit, ja geradezu die Notwendigkeit der Konstruktion eines hiesigen, irdischen Paradieses als höchster Aufgabe des Menschen: « Die ne s’est ainsi surement pas suicidé, il est entré, par son Esprit sain, dans le Cosmos ; il s’y est glissé. Peut-être est-il même devenu le cosmos après l’avoir créé, comme conséquence inévitable de sa Puissance et de son Omniscience. […] Il est, littéralement, l’environnement : ‘prendre soin’ est donc pour Lui la praxis même de sa vie. » (253-254) Daraus ergibt sich folgende Forderung, die nicht nur aus christlicher, sondern generell transzendenter Perspektive nur als « Hybris » gelten kann, so sehr sie sich selbst auch als Selbstbeschränkung interpretieren mag: „Refaire le paradis que nous avons détruit; retourner en roi dans le jardin que nous avons quitté en pécheur; restaurer enfin l’harmonie perdue entre notre plus profonde nature et celle qui nous entoure: voilà le commandement suprême ordonné au genre humain.“ (248) Denn die wichtigste Aufgabe des Menschen, verschreibt man sich dem Gedanken an die Philosophie Perennis und die Transzendenz völlig, liegt eben nicht in der Welt der Materie, sondern im Jenseits, und besteht nicht in der Errichtung eines irdischen Paradieses, sondern der größtmöglichen Annäherung des Individuums an Gott, aus der dann alles weitere folgt.
Ein weiterer, m.E. durchaus berechtigter, aber eher pragmatischer Kritikpunkt wäre die Sorge davor, wie gefährlich eine einseitige Absage des Abendlands an die Hochtechnologie im Rahmen der gegenwärtigen Weltlage wäre. Denn Rochedys Argumentation blendet größtenteils die außereuropäische Welt aus; wir müssen aber damit rechnen, daß eine einseitige „Entschleunigung“ und bewußte Vereinfachung unserer Zivilisation jenen Kräften einen entscheidenden Vorteil bieten könnte, die, von Afrika über die islamische Welt bis hin nach China, von Ressentiments auf das Abendland zerfressen sind. Daher stellt sich die Frage, wie eine „biozivilisatorische“ Gesellschaft auch weiterhin von innen wie von außen gegen feindliche Übergriffe geschützt sein kann und das unvermeidliche Chaos der Transformation nicht vielmehr den Westen verschlingen könnte. Damit eng zusammenhängend wäre die Frage, inwieweit der Westen überhaupt noch fähig für eine solche grundlegende Metamorphose ist. Rochedy schläge eine überraschend positive Geschichtstheorie vor, wenn er die Antike mit der Kindheit, das zweite Jahrtausend aber mit der Jugendzeit Europas identifiziert: Die Gegenwart vielmehr entspricht dem Eintritt in das Erwachsenenalter: „Car oui, l’homme occidental est en train de devenir adulte : voilà notre moment historique traduit sur une courbe de croissance. » (257) Hier läßt freilich Nietzsches Hoffnung auf den „großen Mittag“ grüßen, und eine solche optimistische Selbstverortung des Abendlandes, die den üblichen Dekadenzdiskursen zutiefst widerspricht, ist auf jeden Fall überaus sympathisch und begrüßenswert. Allein, dadurch wird sie nicht überzeugender, und der Autor dieser Zeilen verhehlt nicht, eher der Spengler’schen Sichtweise vom „Untergang“ des Abendlandes anzuhängen, derzufolge höchstens noch ein finales Zivilisationsimperium denkbar ist, aber keine fundamentale innere Erneuerung.
Diese beiden Kritikpunkte bedeuten aber keinesfalls eine Ablehnung der Gedanken Rochedys, sondern vielmehr ihre nötige „Erdung“: Das Abendland geht seiner allmählichen Versteinerung entgegen, und der „letzte Mensch“ wird zweifellos zum Standardexemplar des Zivilisationseuropäers. Ein erneuter Aufschwung scheint unmöglich; nicht aber ein letztes „augusteisches“ Aufbäumen und die Errichtung eines finalen Imperiums nach dem Beispiel des römischen Principats, der chinesischen Han-Dynastie oder der indischen Gupta; ein Imperium, dessen politischen und moralischen Restaurationsbestrebungen auch ein erneutes positives Verhältnis zum Christentum einschließen werden. Daß dieses finale Imperium wie noch jedes andere seiner Art allerdings von einer gewissen Entschleunigung, Vereinfachung und Nachhaltigkeit gekennzeichnet sein wird, ist durchaus zu erwarten, und daß ein Teil seiner Selbstlegitimation auch darauf begründet sein wird, ein gesünderes Verhältnis zu Natur und Umwelt zu schaffen, ist hochwahrscheinlich. Aus dieser Perspektive würden wir in Rochedy weniger den Utopisten sehen müssen als vielmehr einen Denker, dessen Sensibilität ihm zum frühen Gespür dieser künftigen Entwicklung verholfen hat, die allerdings weniger Neubeginn als vielmehr Schlußpunkt sein dürfte.
Julien Rochedy, Surhommes et sous-hommes. Valeur et destin de l’homme, Paris, Éditions Hétairie, 2023.
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