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Vom Globalismus zum Großraum? Rückbesinnung auf das Eigene

2022-12-07
Zeit zum Lesen 5 min

Wenn schon die Covid-Krise erste Weichen für das Ende des Zeitalters des Globalismus stellte, scheint diese Entwicklung durch die wirtschaftlichen Konsequenzen der russischen Invasion der Ukraine unumkehrbar geworden. Die Fragilität der Lieferketten, die Europa mit Ostasien verbinden, die Abhängigkeit Europas von russischem Gas und arabischem Erdöl, die desaströsen Konsequenzen der Produktionsauslagerung lebenswichtiger Güter wie Medikamente oder Halbleiter, die Gefahr von Hungersnöten aufgrund von Lieferstopps aus der Ukraine und Rußland – überall kracht es im Gebälk des globalistischen Wirtschaftssystems.

Was einzelne Denker wie Oswald Spengler bereits vor hundert Jahren ankündigten, trifft jetzt mit voller Wucht ein: Der Westen hat sich zunehmend abhängig gemacht vom Rest der Welt, sicherlich auch in der naiven Illusion, die von der militärischen Hegemonie der USA gesicherte innere Kohärenz des kapitalistischen Blocks würde den Kalten Krieg überleben. Jegliche Befürchtung, die ehemaligen Kolonien könnten sich eines Tages nicht mehr damit zufriedengeben, als Billiglohnländer dem westlichen Kapital maximale Renditen zu garantieren, sondern vielmehr damit anfangen, Wissenstransfers und Industrieauslagerung zum Aufbau einer eigenen, potentiell antiwestlichen Politik zu nutzen, wurde als retrograd, illiberal oder gar xenophob abgekanzelt. Lieber sprach man beschönigend vom „Ende der Geschichte“ und der Unausweichlichkeit der „Globalisierung“, ein Begriff, mit dem suggeriert wurde, die moderne Weltwirtschaft beruhe auf einem fairen Austausch dessen, was jeder „am besten könne“, berge für alle Beteiligten analoge Vorteile und münde ultimativ in eine multikulturelle posthistorische Weltgesellschaft.

Diese Hoffnungen haben sich mittlerweile als das erwiesen, was sie schon immer waren: unverantwortliche Milchmädchenrechnungen, ideologisch mit humanistischem Pathos verbrämt, an deren Ende langfristig der Ruin einer ganzen Zivilisation steht. Denn die „Globalisierung“ war nie wirklich eine solche: Kulturell beruhte sie auf dem Modell der weltweiten Europäisierung, ethnisch auf der unbegrenzten Einwanderung aus der Dritten Welt in den Westen, politisch auf der Hegemonie der USA, wirtschaftlich auf der Dominanz einiger weniger westlicher Global Player aus den Bereichen Big Data, Big Finance, Big Tech oder Big Pharma und ideologisch auf der impliziten Akzeptanz des linksliberalen Universalismus. Hinter dieser als „Globalisierung“ verkauften Fassade allerdings lief eine gänzlich andere Entwicklung ab: die allmähliche Abnabelung der nicht-westlichen Staaten von ihren bisherigen Hegemonen; eine Abnabelung, an deren einem Ende (wie im Falle Afrikas) der Zusammenbruch regulärer Staatlichkeit und ein seltsames Gemisch zwischen Anarchie, Diktatur und gezielter punktueller Rohstoffausbeutung steht, während wir am anderen Ende (wie im Falle Chinas) die Errichtung eines eigenen politisch-wirtschaftlichen Großraums erleben, der seine Macht letztendlich dem auf kurzfristige Rendite abzielenden Import westlichen Wissens und Kapitals verdankt und nunmehr zum ernstzunehmenden Konkurrenten der alternden abendländischen Zivilisation geworden ist. Die Krisen der letzten Jahre haben die vielen Selbsttäuschungen des Liberalismus vollends zutage treten lassen, auf deren verhängnisvoller Kurzsichtigkeit freilich der Wohlstand einer ganzen Generation errichtet wurde – zu Lasten der Nachkommen, welche nun die Rechnung dafür begleichen müssen, daß ihre Industrie „ausgelagert“, ihr wissenschaftliches Erbe verschleudert, ihre strategische Unabhängigkeit vernichtet und ihre kulturelle Homogenität zerrissen wurde.

Es stellt sich heraus, daß „Globalisierung“ im generellen Wortsinne nie existierte und die einzig wirklich „globalisierte“ Zivilisation die westliche ist. Alle anderen sind hingegen, wenn nicht wirtschaftlich, dann doch zumindest kulturell und ideologisch, zunehmend homogener und patriotischer geworden – mit der Folge, daß die Krisen der letzten Jahre den immer noch von offenen Grenzen träumenden greisen Westen mit voller Wucht getroffen haben, während andere schon längst auf den Tag X hingearbeitet haben, wo es gilt: Jeder für sich. Dieser Tag rückt beständig näher, und die schreckliche Schwäche des Abendlandes ist kaum noch zu verhüllen. Seine Infrastruktur ist marode, sein Bildungssystem rückständig, seine Industrie ausgelagert, sein Kapital abgeflossen, sein Mittelstand ausgelaugt, sein politisches System delegitimiert, seine Eliten demotiviert, seine Bevölkerung überaltert, seine kulturelle Solidarität zersplittert. Wie geht es nun weiter? Die Antwort liegt auf der Hand: Das Zeitalter der naiven „One World“-Ideologie ist beendet beziehungsweise ganz auf den Westen zusammengeschrumpft. Dessen Vertreter begreifen meist noch gar nicht, daß die von ihnen vollmundig beschworene „Weltgemeinschaft“ sich letztlich bis auf wenige Ausnahmen auf die Staaten rein europäischen Ursprungs reduziert. Europa muß so schnell und vollständig wie möglich unabhängig von äußeren Mächten werden – ob dies nun militärische Verteidigung betrifft, digitale Autonomie, energetische Versorgung, außenpolitische Initiative, strategische Rohstoffe, ideologisch-kulturelle Kohäsion oder wissenschaftliche Forschung. Der durchschnittliche Nationalstaat, wiewohl Träger von Demokratie und Identität, kann diese Rolle nicht mehr alleine tragen – auch Deutschland und Frankreich nicht –, da die Zeit der großen Kolonialimperien des 19. Jahrhunderts mit ihrem schier unüberbrückbaren technologischen, militärischen und demographischen Vorsprung vor dem Rest der Welt längst vorbei ist. An ihre Stelle muß ein vereintes Europa treten – freilich nicht die EU mit ihrer linksliberalen Ideologie, welche in ihrer gegenwärtigen Form als stärkster Feind des echten Abendlands zu begreifen ist, sondern ein neuer, „hesperialistischer“, also dezidiert kulturpatriotischer Staatenverbund, der auch für unseren Kontinent eine Monroe-Doktrin und ein gesundes „Europe first“ beansprucht, wie ich es kürzlich mit vielen Mitautoren in meinem Band „Europa aeterna“ (Manuscriptum 2022) beschrieben habe.

Freilich: Zwischen „müßte“ und „wird“ klafft eine gewaltige Schlucht historischer Imponderabilien, und Normativität mit Realität verwechselt zu haben hat Europa wesentlich dahin geführt, wo es heute steht – am Abgrund. Wie ließe sich also konkret die oben formulierte Forderung erfüllen? Man wird wohl leider ein bedachtes, organisches, jahrzehntelanges sukzessives Hineinwachsen der EU in eine solche neue Struktur mitsamt den entsprechenden politischen Strategien ausschließen können. Zu kurz ist die Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, bevor der „alte“ Kontinent definitiv auf dem Abstellgleis der Weltpolitik gelandet ist. Wahrscheinlicher ist ein konfliktuelles Modell: Die Eurokrise, das AfghanistanDebakel, die innere Zerrissenheit der USA, die völlige Orientierungslosigkeit der EU, die selbstzerstörerische Identitäts- und Energiepolitik der linksliberalen Eliten, die kopflose Verwirrung Europas angesichts des Kriegs in der Ukraine – all dies hinterläßt im Rest der Welt (zu Recht) einen desaströsen Eindruck und wird weitere Versuche nur befeuern, den verhaßten Westen endlich vom Sockel zu stürzen.

Damit werden aber auch die „One World“- und „Great Reset“-Tagträume der westlichen spätliberalen Eliten in sich zusammenfallen. Denn wenn auch die digitale Diktatur Chinas keinen Deut besser ist als die, welche sich allmählich in Silicon Valley und Washington zusammenbraut, liegen doch zwischen dem überlebten universalen und dekonstruktivistischen Ansatz der letzteren und dem zivilisatorischen Patriotismus des ersteren ganze Welten. Es wird also auf eine massive Demütigung des Westens hinauslaufen, die zwar (leider) wohl nicht zu einer völligen Rückabwicklung der transhumanistischen Dystopie führen wird, auf die unsere gegenwärtige Entwicklung hinausläuft – und wahrscheinlich sogar teilweise hinauslaufen muß, um der Konkurrenz aus dem Osten standzuhalten –, aber sehr wohl eine Rückbesinnung auf das Eigene bewirken könnte. In dieser Hinsicht könnte auch der Ukraine-Krieg trotz seiner Schrecken eine heilsame Entwicklung einleiten. Er hat nicht nur die bewußt in Kauf genommenen Abhängigkeiten Europas mitsamt seiner tödlichen militärischen Schwäche vor aller Augen ans Licht gezerrt. Zudem führt er auch erneut zu einer Auseinandersetzung mit jenen Werten, ohne die eine jede Zivilisation zu Zynismus, Nihilismus und schließlich Dekadenz und Passivität verurteilt ist: Patriotismus, Opferbereitschaft, Familie, Glaube, Liebe zum Eigenen, Schlagkraft und Mut – selbst angesichts vermeintlich aussichtsloser Situationen. Wird Europa diese Lektion verinnerlichen? Der Kriegswinter 2022/23 wird es zeigen: Alles kommt darauf an, ob die Europäer die bevorstehende Prüfung allein aus der kurzsichtigen Perspektive betrachten werden, möglichst bald wieder „Business as usual“ betreiben zu dürfen und somit so wenig wie möglich an ihrem bisherigen Verhalten ändern zu müssen. Oder ob die neuen Gegebenheiten im Osten endlich zu der seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten überfälligen Diskussion um die echten und wirklichen Grundwerte führen werden, die der europäischen Zusammenarbeit zugrunde liegen sollten – nicht „Cancel Culture“, nicht Genderideologie, nicht Klimahysterie, nicht forcierter Multikulturalismus, sondern das nackte Überleben unserer Zivilisation, unserer Lebensart und unseres kulturellen Erbes im 21. und 22. Jahrhundert.

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