„Don’t just criticise, create!” Interview mit Gerd Morgenthaler, Mitglied des „Netzwerks Wissen-schaftsfreiheit“
Dies ist die dritte Folge unserer neuen Interviewserie mit dem Titel "Don‘t just criticise, create!" David Engels spricht mit Künstlern, Philosophen, Geistlichen, Intellektuellen, Aktivisten und Kunsthandwerkern aus ganz Europa, die sich allesamt entschlossen haben, nicht nur den "Untergang des Abendlandes" zu beklagen, sondern auch dazu beizutragen, ihn zu bekämpfen. Sie haben dies getan, indem sie etwas Neues geschaffen haben – und vielleicht auch etwas Schönes, Wahres und Gutes.
David Engels: Lieber Gerd, Du bist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Siegen, gleichzeitig aber sehr aktiv, wenn es um die Diskussion geschichtsphilosophischer Fragen und die Wahrung unserer demokratischen Freiheitsrechte geht. Dabei bist Du vor allem im Bereich der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit hervorgetreten, indem Du Dich dem „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ angeschlossen hast. Kannst Du den Lesern kurz vorstellen, um was es hier genau geht?
Gerd Morgenthaler: Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/) ist ein 2020 initiierter, als gemeinnütziger Verein eingetragener Zusammenschluss von mittlerweile über 700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir treten für ein freiheitliches Wissenschaftsklima, eine plurale, von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur und ein institutionelles Umfeld ein, in dem frei vom Druck gesellschaftlicher Sonderinteressen geforscht und gelehrt wird und niemand aus Furcht vor sozialen und beruflichen Kosten Forschungsfragen oder Debattenbeiträge meidet. Insbesondere widersetzen wir uns allen Bestrebungen, die Freiheit von Forschung und Lehre aus politischen oder ideologischen Motiven einzuschränken.
In erster Linie dient das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit der Unterstützung all derjenigen, die sich Angriffen auf ihre Wissenschaftsfreiheit ausgesetzt sehen. Außerdem analysieren wir Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit, legen Fälle ihrer Einschränkung offen und entwickeln Gegenstrategien. In Zukunft wollen wir darüber hinaus vermehrt Debattenformate organisieren, um zu unterschiedlichen, gerade auch politisch umstrittenen Fragen möglichst viele Perspektiven zusammenbringen, die in einem offenen intellektuellen Klima ausgetauscht werden.
Wie würdest Du die gegenwärtige Bedrohung der freien Forschung analytisch beschreiben
Traditionell folgte das deutsche Universitätssystem dem sogenannten Humboldtschen Ideal der „Forschung in Einsamkeit und Freiheit“. Damit war gemeint, dass die Hochschulen autonome Gemeinschaften sein sollten, die ihren Mitgliedern eine individuell selbstbestimmte Forschung und Lehre unabhängig von gesellschaftlichen Nutzzwecken oder Glaubenssystemen ermöglichen und in denen ein Ethos des lebendigen Geistes der Wissenschaft gepflegt wird. Dieses Modell ist inzwischen von Tendenzen ausgehöhlt worden, die sich unter den Stichworten ‚Managerialism‘ und ‚Cancel Culture‘ zusammenfassen lassen. Wir beobachten hierbei in Deutschland wie in den anderen westlichen Ländern Entwicklungen, die im Wesentlichen aus den USA kommen.
Mit ‚Managerialism‘ ist der Ansatz gemeint, die Hochschulen immer unvermittelter in den Dienst der Wirtschaft zu stellen und sie wie Unternehmen zu organisieren. So wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten in den deutschen Bundesländern hierarchische Modelle der Hochschulorganisation eingeführt, welche die Möglichkeiten der Selbstverwaltungsorgane zur Einwirkung auf die Hochschulleitungen beschnitten, während sie die Universitäten dem Einfluss neu installierter Universitätsräte öffneten, die gesellschaftliche Interessen repräsentieren, aber selbst keiner institutionalisierten Kontrolle unterliegen. Ein weiterer Trend besteht darin, Forschern immer häufiger nur Zeitverträge anzubieten anstelle des früher üblichen, auf Lebenszeit angelegten Beamtenstatus, der dazu diente, sie in der Gewissheit voller persönlicher und sachlicher Unabhängigkeit forschen zu lassen. Außerdem zwingt die abgesenkte Finanzausstattung die Wissenschaftler dazu, permanent sogenannte Drittmittel einzuwerben, wobei nicht auszuschließen ist, dass sie sich bei der Formulierung ihrer Forschungsfragen, der Auswahl ihrer Methoden und der Präsentation ihrer Ergebnisse immer stärker nach den Erwartungen der Geldgeber richten. Besonders in den kostenintensiven naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächern könnten hier bedenkliche Abhängigkeiten entstanden sein, aber nicht nur dort.
Der Ausdruck ‚Cancel Culture‘ bezieht sich auf die zunehmend auch an den Universitäten herrschende Atmosphäre ideologischen Drucks, der nicht nur von außen, aus der Gesellschaft, kommt, sondern vor allem auch innerhalb der Universitäten selbst erzeugt wird. Eine stetig steigende Zahl von Hochschullehrern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom humboldtschen Ideal ab- und einer postmodernen, zugleich nihilistischen und dezisionistischen Ideologie zugewandt. Diese Agendawissenschaftler verwerfen nicht nur die Erkenntnisse und Methoden der traditionellen Wissenschaftsdisziplinen als sexistisch, rassistisch, kolonialistisch usw., sondern leugnen überhaupt den Gedanken einer objektiven Wahrheit und positionieren sich stattdessen als Vorkämpfer einer quasireligiösen Bewegung, die alle gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen in ihren Dienst stellen oder „dekonstruieren“ will. Wer eine vom vorgegebenen Narrativ abweichende Ansicht vertritt und die Einhaltung etablierter wissenschaftlicher Standards anmahnt, wird nicht selten persönlich angegriffen und verunglimpft. Sachlich argumentiert wird hierbei in der Regel nicht. Es geht vielmehr darum, die betreffende Person einzuschüchtern und mundtot zu machen. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit dokumentiert auf seiner Website laufend eklatante Fälle solcher ‚Cancel Culture‘.
Wie konnte es dazu kommen, daß, ohne eine offene Revolution, das (nicht nur) deutsche Universitätssystem in einer solchen Weise in die Zwickmühle geriet?
Wie das deutsche Universitätssystem ohne offene Revolution in einer solchen Weise in die Zwickmühle geraten konnte, ist eine gute Frage. Tendenzen zur Vereinnahmung der Hochschulen für gesellschaftliche Nutzzwecke oder Glaubenssysteme gab es in der Geschichte immer wieder. Schon Philipp Melanchthon und später dann eben auch Wilhelm von Humboldt haben sich dezidiert dagegen gewandt. Im aktuellen Fall hat offenbar die massive Erhöhung der Studentenzahlen seit den 1970er Jahren und der damit verbundene schnelle Ausbau der Universitäten eine günstige Gelegenheit zur Umgestaltung geboten: Die sogenannten Achtundsechziger konzentrierten sich bei ihrem Marsch durch die Institutionen bekanntlich auf den emi-nent wichtigen Bildungsbereich, wo sie bei der rapiden Ausweitung der Zahl der Hochschullehrerstellen eine strategische Berufungspolitik betrieben, und die permanente Finanzknappheit des staatlichen Hochschulsystems erzeugt und verstärkt die Abhängigkeit von privaten Geldgebern. Wirksam werden konnte die daraus resultierende Bedrohung des humboldtschen Modells aber sicher nur dadurch, dass ein Großteil der Wissenschaftler selbst das Ethos des lebendigen Geistes der Wissenschaft nicht mehr hinreichend pflegt, in methodischer Hinsicht einem oberflächlichen Positivismus huldigt und insgesamt die Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft unterschätzt oder opportunistisch hinnimmt.
Nun ist durchaus an die Öffentlichkeit durchgedrungen, daß in diesem Netzwerk nicht alle Mitglieder einer Meinung sind – Gottseidank, geht es doch um Wissenschaftsfreiheit, mag man hier sagen. Problematisch wird es aber, wenn innerhalb des Netzwerks erneut Distanzierungen von „umstrittenen“ Denkern auf der Tages-ordnung stehen – was sind die inneren Bruchlinien innerhalb der Organisation?
Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ist, wie gesagt, ein Zusammenschluss von inzwischen über 700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – d.h. meinungsstarken Individualisten unterschiedlichster wissenschaftlicher Prägung und politischer Couleur. Wie wollte man da ernsthaft erwarten, dass alle immer gleicher Meinung sind? Was uns jedoch eint, ist die Überzeugung, dass die Wissenschaftsfreiheit aktuell stark bedroht ist, in Verbindung mit der Entschlossenheit, angegriffenen Kolleginnen und Kollegen solidarisch zur Seite zu stehen.
In der relativ kurzen Zeit seit Gründung des Netzwerks mussten wir die Maßstäbe unseres gemeinsamen Handelns erst bestimmen. Die Frage, was genau unter ‚Wissenschaftsfreiheit‘ zu verstehen ist, durch was und wen sie bedroht wird und wann ein Fall so gravierend ist, dass wir uns als Netzwerk Wissenschaftsfreiheit öffentlich positionieren müssen, hat naturgemäß immer wieder zu internen Diskussionen geführt. Wir sind uns jedoch einig, dass wir für die Wissenschaftsfreiheit im verfas-sungsrechtlich verbürgten Sinn (Art. 5 Abs. 3 GG) eintreten und damit dem seit der Aufklärung geprägten Freiheitsbegriff folgen. Es geht somit – laut Bundesverfas-sungsgericht – um den Schutz der „auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei der Suche nach Er-kenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe“. Dies beinhaltet die freie Wahl von Fragestellungen und Methodik, die selbstbestimmte praktische Durchführung eines For-schungsprojekts sowie die eigenständige Bewertung und Verbreitung der Forschungsergebnisse. Entscheidend dabei bleibt – auch dies betont die Rechtsprechung – die unvoreingenommene Suche nach Wahrheit und die prinzipielle Unabgeschlos-senheit des Erkenntnisprozesses mit dem Ziel der Generierung von allgemeinem Wissen durch den Austausch sachbezogener Argumente, frei von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitserwägungen. Tabuthemen oder verbotene Thesen darf es hier ebenso wenig geben wie eine Pflicht des einzelnen Freiheitsberechtigten zu Neutralität, Ausgewogenheit oder Political Correctness. Die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit ergeben sich allein aus der Verfassung und den verfassungskonformen Gesetzen.
Wir fühlen uns als Netzwerk Wissenschaftsfreiheit verpflichtet, im Einzelfall öffentlich Stellung zu nehmen, wenn die so verstandene Wissenschaftsfreiheit durch staatliche Stellen in eklatanter Weise verletzt wird oder es massive Angriffe seitens privater Akteure gibt und die zuständigen Behörden und Gerichte nicht schnell genug oder nicht mit dem erforderlichen Nachdruck darauf reagieren. Dabei darf das Netzwerk als Anwalt der freien Wissenschaft nicht nach politischen oder ideologischen Kriterien differenzieren. Wir müssen für alle Forscher in gleicher Weise eintreten, und die Kategorie des „umstrittenen“ Denkers kann es da nicht geben. Bruchlinien innerhalb der Organisation kann ich nicht erkennen, nur gelegentlich unterschiedliche Einschätzungen hinsichtlich der Grenzen der Freiheit, wenn es um Wissenschaftler geht, die Tabuthemen aufgreifen oder ideologisch angefeindete Thesen vertreten. Aber ich halte es nicht für eine Schwäche, sondern für eine Stärke des Netzwerks, dass in solchen Fällen intern heftig debattiert wird. Letztlich kommt es darauf an, die rechtlichen Maßstäbe nüchtern anzuwenden und zur Freiheit zu ste-hen, auch wenn dies angesichts aufgeheizter öffentlicher Debatten – einschließlich Shitstorms und diffamierender Unterstellungen auch gegen das Netzwerk und ein-zelne Mitglieder – durchaus Mut erfordert. Bisher haben wir, so glaube ich, ganz gut Kurs gehalten.
In den letzten Jahren warst Du ebenfalls aktiv bei der Organisation politisch-philosophischer Seminare, bei denen über alle Parteiengrenzen hinweg bekannte, oft genug aber sogenannte „umstrittene“ Denker von links wie rechts zum Vortrag eingeladen wurden, um offen mit den Kollegen und Studenten zu diskutieren. Einmal bedurfte es sogar des Polizeischutzes. Was ist passiert?
Den massivsten Polizeischutz, nämlich den Einsatz einer ganzen Hundertschaft, erlebte ich anlässlich einer philosophischen Lehrveranstaltung des Siegener Kollegen Professor Dr. Dieter Schönecker. Dieser hatte als überzeugter Liberaler im Winter-semester 2018/19 die Idee, im Rahmen eines universitären Seminars zum Thema „Meinungsfreiheit“ nicht nur John Stuart Mill lesen zu lassen, sondern auch eine begleitende Vortragsreihe zu organisieren, um den Teilnehmern Anschauungsunter-richt in gelebter Meinungsfreiheit zu bieten. Zu diesem Zweck schrieb er mögliche Referenten aus dem Bereich der Wissenschaft, aber auch der Politik an, die einen weiten Bogen im üblichen Links-Rechts-Schema repräsentieren sollten. Als dann aber bekannt wurde, dass er auch das „umstrittene“ SPD-Mitglied Thilo Sarrazin und den AfD-Politiker Marc Jongen eingeladen hatte, sagten fast alle anderen vorgesehe-nen Redner ab und es kam an der Universität Siegen zu heftigen Protesten gegen die vermeintlich politisch einseitige, „rechte“ Veranstaltung. Der AStA forderte die Hochschulleitung auf, die Durchführung der Vortragsreihe zu verhindern, woraufhin der zuständige Dekan dem Kollegen Schönecker die Verwendung seiner Deputats-mittel zur Finanzierung von Spesen untersagte und das Rektorat eine Stellungnahme veröffentlichte, in welcher es sich deutlich von der Veranstaltung distanzierte. Als ich von der Angelegenheit hörte, schrieb ich zusammen mit sechs weiteren Professoren der Universität einen offenen Brief an die Hochschulleitung, welcher umgehend von der Siegener Zeitung veröffentlicht wurde und weit über Siegen hinaus eine heftige öffentliche Diskussion auslöste. Das Rektorat sah sich daraufhin zu der Erklärung veranlasst, es werde die Wissenschaftsfreiheit selbstverständlich respektieren und schützen und dafür sorgen, dass die Veranstaltung wie geplant durchgeführt werden könne. Die Vorträge fanden daraufhin unter starken Schutzvorkehrungen statt. Beim Vortrag von Thilo Sarrazin waren, wie gesagt, wegen anonymer Gewaltdrohungen, die der Staatsschutz sehr ernst nahm, etwa hundert Bereitschaftspolizisten im Einsatz.
Dieter Schönecker und ich betrieben nach diesem Vorfall zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem gesamten Bundesgebiet, welche ähnliche Erfahrungen mit der um sich greifenden ‚Cancel Culture‘ gemacht hatten, die Gründung des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit. Zu den Aufgaben dieses Netzwerks gehört es, wie gesagt, auch, Gegenstrategien zu entwickeln und in diesem Rahmen u.a. Debat-tenformate zu politisch umstrittenen Fragen zu organisieren. Zuletzt hatten Dieter Schönecker und ich im vergangenen Herbst den an der Hochschule des Bundes in Berlin lehrenden Politikwissenschaftler Professor Dr. Martin Wagener zu einem Seminar in Verbindung mit einem Workshop an die Universität Siegen eingeladen, um seine „umstrittenen“ Thesen zum Begriff des deutschen Volkes mit Studenten und auswärtigen Kollegen verschiedener Fachdisziplinen zu erörtern. Martin Wagener, der in Berlin u.a. den Beamtennachwuchs der deutschen Nachrichtendienste unterrichtet, hatte zuvor auf Veranlassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz seine Sicherheitseinstufung entzogen bekommen, was faktisch bewirkt, dass er zur Zeit von der Lehre an seiner Hochschule ausgeschlossen ist. Wir halten seine Thesen zur Unterscheidung des ethnisch-kulturell definierten Volkes vom Staatsvolk für zweifellos grundgesetzkonform (vgl. u.a. Art. 116 Abs. 1 GG) und die gegen ihn ergriffenen Maßnahmen für einen verfassungswidrigen Eingriff in seine Wissenschaftsfreiheit.
Ist diese zunehmende Bedrängung der Wissenschaftsfreiheit eine Einbahnstraße, oder glaubst Du an die Selbstheilungskräfte des universitären Betriebs?
Die Bedrängung der Wissenschaftsfreiheit folgt einer seit langem zu beobachtenden Tendenz und hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Sie folgt aber keinem Naturgesetz. Dass sich an den Hochschulen zunehmend Widerstand formiert und dieser sich wirksam organisiert, ist u.a. am Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zu sehen. Noch ducken sich viele weg, solange sie nicht selbst betroffen sind. Aber meine eigenen Erfahrungen, unter anderem im Zusammenhang mit dem Seminar von Dieter Schönecker, zeigen, dass der Kampf für die Wissenschaftsfreiheit eine reale Chance auf Erfolg hat. Wir bekamen damals überraschend viel Zuspruch, sowohl aus der Universität selbst von Kollegen und Studenten als auch von außen, z.B. von Leserbriefschreibern der Siegener Zeitung und von Journalisten, die uns mit ihren Be-richten und Kommentaren unterstützten. Dabei zum Teil auch von ganz unerwarteter Seite. Ich bin daher überzeugt, dass es sich lohnt, standhaft zu bleiben und die eigene Position ruhig und sachlich, aber mit Nachdruck öffentlich zu vertreten.
Zusammen mit mir und Max Otte bist Du im Organisationsgremium der „Oswald Spengler Society“ aktiv. Wie würde Spengler die gegenwärtigen Probleme im Wis-senschaftsbereich einordnen?
Oswald Spengler würde die gegenwärtigen Probleme als die unvermeidlichen Zei-chen der Zeit betrachten, in der wir leben. Er ging bekanntlich davon aus, dass alle historischen Hochkulturen ähnlich wie Organismen eine bemessene Lebenszeit von etwa 1000 Jahren hatten und dann untergingen. Ein solcher „Untergang“, der nach seiner Geschichtsmorphologie für das im 9. Jahrhundert entstandene Abendland etwa auf die Wende zum 20. Jahrhundert zu datieren wäre, war für ihn gleichbedeutend mit dem Erlahmen und Absterben der inneren schöpferischen Kräfte und dem Dominantwerden rein materialistischer Tendenzen. In derartigen zivilisatorischen Spätzeiten ist es laut Spengler immer zum Abbau der kulturspezifischen Institutionen und dadurch zur Atomisierung der Gesellschaft und Herausbildung „formloser Massen“, zum „Sieg des Geldes über die Politik“ und zur Verbreitung universalis-tisch-pazifistischer und zugleich skeptisch-utilitaristischer Ideologien gekommen. Über 100 Jahre, nachdem er sie aufgeschrieben hat, bestätigen sich diese Prognosen in einer verblüffenden Weise.
Das Motto unserer Interviewreihe ist: Nicht nur kritisieren, sondern auch schaffen (not only critizise but create)! Könntest Du Dich damit identifizieren, und wenn ja, wie?
Wir Europäer wissen seit den alten Griechen, dass das Feuer der Erkenntnis, welches Prometheus den Irdischen gebracht hat, in uns ewig lodern wird. Nicht einmal ein wutschnaubender Zeus kann es wieder auslöschen. Von den alten Griechen wissen wir darüber hinaus, dass der Mensch als Zoon politikon seine Fähigkeit zum Denken stets nutzen wird, um die ihn umgebende Welt gemeinsam mit Gleichgesinnten schöpferisch zu gestalten. Weder Tyrannen noch anonyme Strukturen können diesen Drang auf Dauer unterdrücken. Wir werden deshalb im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit und darüber hinaus weiter für unsere Freiheit kämpfen und den Geist der Wissenschaft am Leben erhalten. Ganz im Sinne Immanuel Kants und der Aufklärung: „sapere aude – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Und im Sinne Spenglers, der trotz seiner vermeintlich fatalistischen Geschichtsphilosophie dazu aufrief, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und das Notwendige zu tun: „ducunt fata volentem, nolentem trahunt“.
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