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Die christliche Frage des Orients ist eine europäische Frage

2023-05-04
Zeit zum Lesen 12 min
Europa wird wieder christlich sein, oder es wird nicht mehr sein. Wie christlich es ist, zeigt sich auch daran, wie sehr es seinen Glaubensbrüdern zur Seite steht. Im Falle des Christentums im Orient, der eigentlichen Ursprungsregion der Religion, die Europa zu dem gemacht hat, was es war und was es ist – sieht es düster aus.


Die Selbstentkernung abendländischer Politik zugunsten universeller Werte und der Verlust des eigenen Bewusstseins über die kulturell-religiöse Herkunft zeigt sich kaum so offen wie bei der Politik gegenüber den Christen des Nahen Ostens. Christliche Konservative kann dieses Verhalten aber nicht nur aus moralischen oder religiösen Gründen kaltlassen. Es stellt sich die Frage nach Heimat, nach einer Perspektive der Herkunftländer – und nach außenpolitischen Fehlleistungen, die es etwa Russland ermöglicht haben, im Kaukasus und dem Nahen Osten Fuß zu fassen.

Früher hat sich Frankreich als Schutzherrin der Christen im damals osmanischen Griechenland oder dem osmanischen Palästina verstanden. Heute kennt die EU nicht einmal einen Gottesbezug in ihren Verträgen und erhofft sich eine säkular-laizistische Staatsform auf einem Kontinent, dessen Zivilisation ohne Christentum gar nicht denkbar wäre. Das Resultat: weder die Christen des Orients noch die verfolgten Christen weltweit haben eine Lobby, sieht man von einigen mittelosteuropäischen Ländern ab, denen dafür von Brüsseler Seite christlicher Fanatismus vorgeworfen wird.

Die Wahrheit ist aber folgende: Wer sich auf Menschenrechte beruft, will alle zugleich schützen, ohne Ausnahme und Hinblick auf die echten Bedürfnisse. Ohne das Leid der Rohingya oder der Uiguren zu schmälern: Selbst wenn es den Westen nicht gäbe, so gäbe es immerhin eine starke islamische Community, die sich durchaus der Gefahren bewusst wäre, in denen ihre Glaubensbrüder stecken. Im Falle der Christen gibt es aber niemanden, der sich um diese kümmert. Und noch schlimmer: Angesichts des Glaubensverfalls in Europa ist durchaus kritisch zu hinterfragen, ob es diese Glaubensbrüder überhaupt noch gibt. Dass das Christentum die meistverfolgte Religion der Welt ist, bleibt für viele eine Phrase, die man mit linken Opfertheorien zu relativieren sucht. Der Selbsthass auf die Zivilisation ist letztlich immer auch ein Hass auf das Christentum als Keimzelle des Abendlandes.

Dass die deutschen Christdemokraten nur noch Christdemokraten dem Namen nach sind, zeigt sich etwa daran, dass Vorstöße, den explizit christlichen Flüchtlingen besondere Hilfe zugutekommen zu lassen, abgeschmettert wurden. Man müsse allen helfen. Das ist ein schwer erträglicher Relativismus. Christen sind nicht nur in muslimischen Ländern, sondern auch auf ihrem Weg nach Europa aufgrund muslimischen Chauvinismus‘ einer größeren Gefahr ausgesetzt. Die Gleichsetzung der Menschen nimmt keine Rücksicht darauf, dass sie verschiedene Bedürfnisse haben können, und wittert Rassismus oder Islamophobie. Eine solche Haltung gibt sich unter dem Anschein, allen helfen zu wollen, als christlich, ist es aber im Kern nicht; vielmehr handelt es sich um einen politischen Diskurs, in dem man diejenigen, die vor allem Hilfe für die bedrängten Christen einfordern, als moralisch verkommene Subjekte deklarieren will, weil sie damit andere diskriminieren.

Zudem ist die Christenfrage insbesondere im Orient keine reine Sache der Aufnahme. Es muss Anliegen konservativer Parteien sein, dass Hilfe vor Ort nicht eine bloße Phrase ist, um den Zuzug aus anderen Ländern zu vermindern. Vielmehr muss einer echten christlichen Rechten bewusst sein, dass jede Vertreibung aus der Heimat ein Übel ist; und die Bewahrung der Heimat damit nicht nur unser Anliegen in Europa, sondern auch das der Völker und anderer Länder. Viel zu häufig sprechen auch konservative Politiker von ökonomischen oder kulturellen Gründen. Dass etwa Christen die Möglichkeit haben müssen, in Ländern wie Syrien oder dem Irak weiterhin zu leben, ist ihr Recht. Die politische Linke spricht immer davon, dass Migration unsere Länder bereichert – aber muss das nicht im Umkehrschluss heißen, dass Emigration die Herkunftsländer verarmen lässt?

Orientalische Christen hatten trotz häufiger Diskriminierung und Ausgrenzungen Schlüsselstellungen im intellektuellen Leben und auch im kaufmännischen Mittelstand vieler arabischen Länder eingenommen. Dass sich der Hass auf die Armenier im Osmanischen Reich mit der Gewalt eines Genozids manifestierte, liegt auch an den Positionen, die sie in diesem Staat bekleideten. Zu einem Mythos gehört, dass Muslime das antike Wissen tradiert hätten, bevor es die Abendländer wieder in den Westen brachten; richtig ist, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Übersetzer in Wirklichkeit arabische Christen und Juden waren. Laut Rémy Brague sei bis auf den Philosophen Alberuni kein muslimischer Philosoph des Mittelalters bekannt, der eine nichtislamische Sprache lernte – Avicenna und Averroes inklusive. Ähnlich wie die Christen spielten auch die Juden in den letzten Jahrhunderten im Orient immer wieder eine Schlüsselrolle; und ähnlich, wie die Juden nach der Gründung des Staates Israel aus nahezu allen arabischen Staaten vertrieben wurden, droht den christlichen Gemeinden des Orients ein sehr ähnliches Schicksal.

Dass damit ein sog. „brain drain“ einhergeht, ist nur eine Facette dieser Entwicklung. Bezeichnend für Europa ist, dass es einerseits die Vertreibungen und die Zerstörung paneuropäischer Städte und Landschaften beklagt, die seit dem Zeitalter des Nationalismus den Kontinent geprägt haben. Das gilt für eine Hafenstadt wie Triest, die zwar eine italienische Leitkultur hatte, aber stets von den vielfältigen Elementen sowohl slawischer wie germanischer Einschläge geprägt war; das gilt für Konstantinopel, das zwar von türkisch-islamischer Oberherrschaft geprägt war, aber noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts über eine lebendige lateinische, griechische und armenische Gemeinde verfügte; und es gilt insbesondere für eine Vielzahl von Städten und Landschaften in Mittelosteuropa und Osteuropa, nicht zuletzt unter der Oberhoheit der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, oder noch im 18. Jahrhundert unter der Polnisch-Litauischen Union. Die teils blutige Homogenisierung dieser Kulturräume erschien den Damaligen als Bereinigung, die Heutigen können dagegen eine gewisse Nostalgie nicht zähmen, blicken sie auf die Hinterlassenschaften in Architektur, Kulinarik, Literatur und Musik. Dasselbe Europa, das um diese Verluste weiß, quittiert denselben Vorgang vor der Schwelle des Mittelmeeres mit Achselzucken.

Das ist die kulturelle Dimension. Die religiöse Dimension geht weiter und ist radikaler. Die ältesten christlichen Gemeinden der Welt, älter als die meisten europäischen Stadtgründungen außerhalb des Imperium Romanum, drohen für immer zu verschwinden. Ausgerechnet in seiner Wiege erlischt das Christentum. Noch mehr: nicht nur radikale Muslime, sondern auch woke Linke und säkulare Rechte betrachten diese Gemeinden immer mehr als Fremdkörper, mag es aus Islamismus, anti-christlichen und anti-kolonialen Ressentiments oder aus abstrusen Raumvorstellungen sein. Dass es in Syrien immer noch Christen gibt, die Aramäisch – die Sprache Jesu – als Kirchensprache verwenden, ist nicht nur ein Signal für eine faszinierende Kontinuitätslinie; sie ist auch ein Signal dafür, was im Verschwinden zu begriffen bedroht ist.

Doch nicht nur aus Gründen der Migration und kulturellen Verantwortung müssen sich Konservative im Besonderen und Europa im Allgemeinen um das bedrohte Christentum im Orient kümmern. Das Ansehen des Westens hat unter den Christen des Nahen Ostens und des Kaukasus enorm gelitten. Ohne die Regime in Damaskus und Bagdad verklären zu wollen, muss man doch konstatieren, dass unter der national-säkularen Führung der jeweiligen Länder Christen ein besseres Leben hatten. Die US-Intervention im Irak wie auch die Unterstützung von Bürgerkriegsgruppen in Syrien haben ein Vakuum erzeugt, in das dschihadistische Gruppierungen hineinstechen konnten.

Der Westen, insbesondere die USA, hat damit mehrfach das Vertrauen der Christen vor Ort verloren. Er hat sie in die Arme Russlands getrieben, das etwa in Syrien intervenierte und von vielen als eigentlicher Stabilisator wahrgenommen wurde. Auf eine sehr ähnliche Weise hat die EU die Bedürfnisse Armeniens komplett vernachlässigt, um mit Aserbaidschan Gas- und Ölgeschäfte abzuschließen, und damit eine neue Phase im Bergkarabach-Konflikt eröffnet, den Armenien – eingekeilt zwischen der Türkei und Aserbaidschan – als Kampf um die eigene Existenz interpretiert. Wie kann man es Armenien vorwerfen, sich nicht aus der russischen Umarmung zu lösen, wenn es von allen anderen im Stich gelassen wird? Es hat schlicht keine anderen Optionen, wenn der Westen lieber mit Ankara und Baku liebäugelt.

Um zu ermessen, in welches außenpolitische Zwielicht sich Europa manövriert hat, muss man nur den Fakt anerkennen, dass selbst der Volksrepublik China mittlerweile Sympathien entgegengebracht werden – obwohl es sich um einen der weltweit größten Christenverfolger handelt. Die Christen vor Ort sind so verzweifelt, dass sie jedes Gegengewicht zu islamischen Terroristen oder islamischen Regimen begrüßen. Armenien setzt gar Hoffnungen in den Iran. Wie viele Hilferufe brauchte es noch, bis das säkularisierte Abendland seine Verantwortung begreift?

 

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