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Die Katholische Kirche in Deutschland steckt in einer schlimmeren Situation als 1517

2023-07-19
Zeit zum Lesen 6 min
Der Kölner Erzbischof gehört nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu den wichtigsten Vertretern des katholischen Klerus. Umso aufsehenerregender sollte es sein, wenn Gebäude des Erzbistums Köln von der Staatsanwaltschaft durchsucht werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Meineids gegen Kardinal Rainer Maria Woelki. Die Bild-Zeitung, die größte deutsche Tageszeitung, führt seit längerem eine Fehde gegen den Kardinal. Sie wirft ihm vor, den Missbrauch von Minderjährigen vertuscht zu haben. Woelki soll mehr über den Missbrauch gewusst haben, als er öffentlich eingestand. In einem Prozess Woelkis gegen „Bild“ soll Woelki gelogen haben.

Der Kölner Erzbischof und die Bistumsverwaltung haben in der Vergangenheit keine gute Figur gemacht. Ein Priester, der wegen sexueller Übergriffe auf Minderjährige bekannt war, und sein Amt nicht mehr ausüben durfte, wurde später dennoch in einer Wiener Kirche beim Predigen angetroffen. Dass sich der Priester in der österreichischen Hauptstadt aufhielt, war dem Erzbistum bekannt. In einem anderen Fall unterließ es Woelki, einen Priester, der sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern verübt hatte, nicht an Rom zu melden. Als im Jahr 2019 der Priester und Liedautor Winfried Pilz verstarb, verfasste das Erzbistum Köln einen gebührenden Nachruf – obwohl Woelki bereits 2015 davon unterrichtet gewesen sein soll, dass Pilz wegen sexuellen Missbrauchs auf einer Liste stand. Die Mitarbeiterin, die behauptet, diese Liste im Januar 2015 vorgelegt zu haben, erklärte, dass der Kardinal sich nicht für die Liste interessiert habe.

Die Vorwürfe gegen Woelki hatten bereits ein Nachspiel. Papst Franziskus entsandte im Juni 2021 zwei Apostolische Visitatoren ins Erzbistum Köln. Im September erklärte der Pontifex, dass er Woelki im Amt belasse, verordnete aber ab Mitte Oktober eine „geistliche Auszeit“ für Woelki bis zum 1. März 2022. Das Bistum gilt dennoch als intern zerstritten. Neben der Bild-Zeitung berichten auch andere deutsche Medien kritisch über den Erzbischof. Und mit dem Zugriff der Staatsanwaltschaft dürfte sich auch Franziskus vor die Frage gestellt sehen, ob seine Entscheidung, Woelki im Amt zu belassen, die richtige war. Der Kölner Ruf hat so einen Widerhall, dass auch die evangelische Kirche im Rheinland behauptet, dass die negativen Schlagzeilen zu Kirchenaustritten in ihrer Gemeinde führten.

Woelki indes geht in die Offensive. Er bestreitet nicht nur sämtliche Vorwürfe, sondern hat Anzeige gegen Unbekannt gestellt. Seiner Ansicht nach sei die Presse vor der Razzia informiert worden. „Was uns stört, ist nicht die Hausdurchsuchung, sondern dass die Information und der Termin offenbar an die Medien durchgestochen wurden“, sagte Woelkis Anwalt Björn Gercke. Die Anzeige betreffe demnach die Verletzung von Dienstgeheimnissen. Laut Gercke sei das „Leck“ in der Polizei zu suchen. Dabei besitzt auch die Personalie Gercke als Anwalt Zündstoff: denn derselbe Anwalt war für ein Missbrauchsgutachten für das Kölner Erzbistum zuständig, das erhebliche Pflichtverletzungen „hochrangiger Verantwortlicher“ feststellte.

Gercke hält die Durchsuchungen nicht nur für unnötig, weil man auf Nachfrage alles freiwillig herausgegeben hätte. Vielmehr entstehe bei juristischen Laien der Eindruck einer „Vorverurteilung“. Daher setze man sich zur Wehr. Damit steht für den Erzbischof eine mögliche Strategie offen, um den Vorgang einzuordnen: Die staatliche Untersuchung könnte als Übergriffigkeit gegenüber der Kirche deklariert werden. Die Möglichkeit, aus dem Vorfall ein Vorspiel zu einem Kulturkampf zu stricken, wäre angesichts des stark angeschossenen Zustands des Kardinals ein Ausweg, um Zeit zu gewinnen – und eigene, mögliche Fehler unter den Teppich zu kehren.

Man mag sich wundern, ob eine seine Strategie funktioniert. Sie hat jedoch ihre Anhänger. Denn Woelki wird von nicht wenigen konservativen Katholiken als ein kirchenpolitischer Faktor wahrgenommen. In Deutschland dominieren mittlerweile „liberale“ Bischöfe, die sich Reformen wünschen. Für sie ist Woelki aus diesen Gründen ein „Problembischof“. Die Missbrauchsfälle sind daher geeignete Munition, um das eigene Programm durchzusetzen. Sie missbrauchen den Missbrauch für ihre Agenda.

Woelki dagegen hat Frauenordination und einem Segen für Homosexuelle eine Absage erteilt – Programmpunkte des „Synodalen Wegs“, den der politische Laienverein „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ mit liberalen Bischöfen voranbringen wollen. Dass Woelki nur die katholische Lehre verteidigt, indes seine Gegner von einer deutsch-katholischen Kirche mit eigenen Regeln träumen, wird zugunsten eines Narrativs aufgelöst, demnach nur die „modernen“ Katholiken wüssten, wie man den sexuellen Missbrauch beenden können – etwa durch die Aufhebung des Zölibats –, indes Woelki ihn decke.

Damit hat sich die Katholische Kirche in Deutschland in eine Sackgasse manövriert. Denn das vermeintlich „konservative“ Lager hat sich personell in eine unangenehme Lage gebracht; das „liberale“ Lager dagegen hat aus Rom keine Zustimmung erhalten, sondern wurde bei einer Visite von Franziskus persönlich gedemütigt. Mittlerweile verweigern auch die Bischöfe eine weitere Finanzierung des „Synodalen Weges“. Die Idee, mit dem Synodalen Weg einen Reformprozess vorzugaukeln und damit die öffentliche Meinung zugunsten der Reformer zu drehen, muss auf allen Ebenen als gescheitert gelten, sieht man von einigen eifrigen Unterstützern in den deutschen Redaktionsstuben ab, die darauf hoffen, die „Una Sancta“ in eine beliebige NGO zu verwandeln, um ungestört sündigen zu können, ohne sich danach eine Moralpredigt anhören zu müssen.

In Wirklichkeit gibt es in der Kirche kein „konservatives“ oder „liberales“ Lager, sondern eine bloße kirchenpolitische Trennung. Sie wird aber aus machtpolitischen Gründen so genannt, um zu verdecken, dass es um den eigenen Einfluss geht. Im Falle Woelkis, um sich selbst zu retten; im Falle seiner Gegner, um den spezifisch deutschen Katholizismus mehr mit Verbänden und Behörden zu verbandeln als mit den Gläubigen oder mit Rom. Das genannte „Zentralkomitee“ ist de facto ein politischer Verband, der von Verbandschefs, NGO-Vorsitzenden und Landespolitikern angeführt wird. Er ist damit nicht nur theologisch nah am Protestantismus, sondern auch in seiner Auffassung von der Verbindung zwischen Landesherrn und Kirche.

Der Missbrauch, die Affären auf „konservativer“ Seite, der missglückte „Synodale Weg“ auf der andere Seite, haben den Katholizismus in eine noch größere Krise geworfen, als er sowieso schon in Deutschland erleben muss. Die Kirche ist in Deutschland trotz mächtiger Einrichtungen wie der Caritas und satten Kirchensteuergeldern lange keine gesellschaftlich relevante Kraft mehr. Sie schimmert in den Medien nur noch wegen neuer Geschichten um Kardinal Woelki oder obskurer Momente des Synodalen Weges auf. Ihr Heil suchen die Katholiken nur noch in der Flucht. Über eine halbe Million Menschen sind im Jahr 2022 aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Ein Rekord. Ohne einen Kaiser Karl V. oder einen Cajetan befindet sich die katholische Kirche Deutschlands in einer schlimmeren Lage als zur Zeit der Reformation.

 

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