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Die neue deutsche Auswanderungswelle

2023-09-20
Zeit zum Lesen 4 min
„Rund 165.000 waren es im vergangenen Jahr. 180.000 dürften es in diesem Jahr werden. Deutschland erlebt eine Auswanderungswelle historischer Dimension.“ Jedes Jahr, so der Autor Wolfram Weimer weiter, verschwände eine Stadt so groß wie Würzburg oder Osnabrück. Hochqualifizierte Kräfte, meistens jung, stimmten mit den Füßen ab. Deutschland stünde ein Fachkräftemangel bevor. Die Motivation? 68 Prozent der Auswanderer erwarteten im Ausland einen besseren Job und mehr Geld. Die meisten störten sich in Deutschland an der Bürokratie. Kanada, die USA und die Schweiz seien beliebte Ziele.

Der Weckruf stammt aus den 2000er Jahren. Er ist jedoch so aktuell wie damals. Insbesondere, da Deutschland seitdem seinen „Braindrain“ nicht etwa durch qualifizierte Einwanderung, sondern illegale Massenzuwanderung zu bewältigen suchte. Immer wieder haben deutsche Politiker versucht, die ungeregelte Migration mit dem Fachkräftemangel schönzureden. Dabei wäre es bereits hilfreich, wenn Deutschland versuchen würde, seine eigene Elite im Land zu behalten, anstatt das Vakuum mit noch mehr Problemen zu füllen. Einheimische Eliten brauchen keinen Deutschunterricht, brauchen keine Integration, keine Ausbildung, keine Sozialhilfen. Dennoch wird in Deutschland immer noch mehr über die Einwanderung als über die Auswanderung gesprochen – obwohl der obige Text von Weimer aus dem „Cicero“ 20 Jahre alt ist. Grund dafür: zwischen 2009 und 2015 ging der Auswanderungswille der Deutschen wieder massiv zurück.

Doch das war offenbar nur eine Momentaufnahme. Die Zeiten der Abwanderung sind wieder zurück. Wie damals sind die beiden nordamerikanischen Länder und die Eidgenossenschaft Sehnsuchtsziele der Deutschen. In Europa sind aber auch neue Orte hinzukommen. Das Nachbarland Österreich etwa – oder Ungarn. Die „Schreckenszahlen“ von damals nehmen sich gegen die heutigen Statistiken nahezu harmlos aus. Die Jahre 2015/2016 gelten als Jahre der Migrationskrise. Dass im selben Zuge nicht nur bei der Zu- sondern auch der Abwanderung Rekorde aufgestellt wurden, bleibt heute eher ungenannt. So packten 2016 rund 280.000 Deutsche ihre Koffer. Im Jahr davor waren es nur rund 140.000 gewesen. Seit diesem Jahr wanderten jedes Jahr durchschnittlich 250.000 Deutsche aus.

Mittlerweile existiert eine bemerkenswerte deutsche Diaspora. Sie ist vor allem in der Schweiz und Österreich ausgeprägt, mit jeweils rund 300.000 bzw. 200.000 Exil-Deutschen; in Großbritannien und Spanien zählt die Gemeinschaft jeweils rund 140.000 Menschen. Rund 160.000 leben – Stand 2020 – in Kanada.

Sieht man allein auf die Zu- und Abwanderung von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit zwischen dem Bundesgebiet und dem Ausland, dann ist der Saldo seit 2005 durchgehend negativ. Auch hier markiert das Jahr 2016 den Negativrekord mit rund 135.000 Abwanderungen. Die AfD zieht bereits Vergleiche zu den großen deutschen Auswanderungswellen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Wohlgemerkt: Damals explodierte das Bevölkerungswachstum bei den „autochthonen“ Deutschen. Massenzuwanderungen aus anderen Kulturkreisen gehörten noch nicht zur Tagesordnung. Die Dramatik der heutigen Entwicklung kann man daher im Grunde nicht genug betonen.

Über die Gründe und Ursachen darf man freilich spekulieren. So zeigt sich etwa in einigen Fällen das Phänomen, das nicht so sehr die Jungen und Hochqualifizierten auswandern, sondern auch zahlreiche Rentner, die ihren Lebensabend an einem wärmeren oder billigeren Ort verbringen wollen. Derzeit gehen zahlreiche Vertreter der „Boomer-Generation“ in Rente und suchen ihr Heil in der Fremde. So ist beispielsweise Ungarn Anlaufstelle für viele Deutsche, die ihre Rente sicher verbringen wollen als im unsicher wirkenden Deutschland. Die konservative Grundhaltung des Landes dürfte ihr übriges tun. Auch exotische Ziele wie Paraguay gewinnen plötzlich an Zugkraft. Die klassischen Überseeziele USA und Kanada dürften freilich dieselbe Anziehungskraft wie eh und je ausüben: das Versprechen, dass dort Leistung besser entlohnt wird als in Deutschland und dazu die Bürokratie wegfällt, zieht bis heute nicht nur Mitteleuropäer in den Bann. Auch Australien wohnt ein ähnlicher Ruf inne.

Politisch hat es bisher keine Antwort auf das Phänomen gegeben – so wenig wie in den 2000er Jahren. Damals deuteten Beobachter die Auswanderung auch als Antwort auf die regierende Rot-Grüne Koalition von Gerhard Schröder und die linke Politik. Dass Deutschland ausgerechnet von den Reformen Schröders profitieren sollte, die zu der wirtschaftlichen Erholung unter Angela Merkel führte, ist ein unausgesprochenes Geheimnis. Die Sozialdemokratie hat jedoch niemals einen Vorteil daraus gezogen, im Gegenteil: Seitdem treibt ihre Abspaltung, die Linkspartei, die Sozialdemokratie zu einer deutlich linkeren Politik als vor 20 Jahren. Unternehmerfreundlich erscheint die Bundesrepublik indes nur gegenüber den Großunternehmen, jedoch nicht gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen – was sich zuletzt in der Corona-Zeit bestätigt hat.

Und die heute regierende „Ampel“? Sie überlegt eher, wie sie mit einem „Bürgergeld“ im Gießkannenprinzip große Teile der Unterschicht zufriedenstellen oder gar als treue Wähler gewinnen kann, indes Mittelstand und Familien weiter darben. Projektförderungen gibt es für grüne Projekte und LGBT-Politik. Der Mittelstand tut indes das, was er schon seit Kaisers Zeiten tut: zahlen, zahlen und zahlen.

 

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