Andere würden sich danach die Finger lecken: ein waschechter Caravaggio hängt in der Gemäldegalerie von Sanssouci. Es handelt sich um die berühmte Darstellung des Thomas, der dem Auferstandenen in die Wunde fasst. Der „Ungläubige Thomas“ ist einer von zwei verbliebenen Berliner Caravaggio-Gemälden. Doch während „Amor vincit omnia“ (Amor als Sieger) weiterhin in der Gemäldegalerie am „Kulturforum Potsdamer Platz“ zu besichtigen sein wird, könnte eines der Meisterwerke der Barockmalerei in Zukunft unzugänglich sein.
Der Caravaggio ist nicht das einzige betroffene Gemälde. Denn die gesamte Gemäldegalerie von Sanssouci soll ab nächstem Jahr für Besucher geschlossen werden. Die Sanssouci-Gemäldegalerie war die persönliche Sammlung König Friedrichs II. von Preußen und seiner Nachfolger und ist nicht zu verwechseln mit der Berliner Gemäldegalerie. Friedrich hatte den preußischen Nachholbedarf bei Kunst und Kultur damit decken wollen, dass er Agenten nach ganz Europa aussandte, um kostbare Malerei nach Potsdam zu holen. Der Caravaggio gilt als das berühmteste Gemälde, doch auch Werke von Rubens, van Dyck und weiterer bekannter italienischer und flämischer Maler hängen in dem königlichen Refugium. Friedrichs Gier nach exquisiter Kunst führte jedoch dazu, dass der Preuße auch so manches falsch zugeschriebene Bild erwarb. So gab es manchen falschen Tizian oder da Vinci im Kabinett. Manche Höhepunkte der Kunstgeschichte wurden auch in den letzten beiden Jahrhunderten in eine der Berliner Galerien ausgelagert.
Nichtsdestoweniger hat die Gemäldegalerie von Sanssouci ihren Reiz. Die meisten Besucher übersehen sie, liegt sie doch wie ein Gartenhaus etwas entfernt vom eigentlichen Schloss. Im Sommer war der Eingang schwer zu finden wegen Umbaugittern, mancher Tourist konnte denken, das Haus sei bereits geschlossen. Die Galerie wartet dabei mit etwas auf, was nur noch wenige Galerien bieten können: wie im 18. Jahrhundert sind Rahmen an Rahmen gepuzzelt. Man hat einen Eindruck, wie die meisten Kunstgalerien vor dem 19. Jahrhundert aussahen: als enganliegende Sammlungen. Das einzelne Gemälde muss sich aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit seinen Platz erkämpfen. Der Caravaggio tut das. Obwohl man glaubt, dass er in dem Bildermeer untergehen könnte, so schimmert sein Chiaroscuro heraus und ruft den Besucher. Er ist anders als jedes andere Bild. Andere Gemälde brauchen eigene Räume und freie Wände.
Wieso verschwinden nun die Exponate in der Mottenkiste? Man mag es nicht glauben, aber: aus Kostengründen. Inflation und Preissteigerung fressen die Kultur auf. Von Einsparungen bis zu 300.000 Euro ist die Rede. Während im Bundestag darüber debattiert wird, wie man flächendeckend bis in die letzte Ecke der Republik eine Wärmepumpe nach der anderen installiert und Abermilliarden zur Klimarettung ausgibt, fällt der Kulturschatz der Nation wegen eines vergleichbar kleinen Betrags der Stiftungsplanung zum Opfer. Eine Verfrachtung der Gemälde in andere Museen sei nicht möglich.
Man mag es für eine typische Berliner Posse halten, es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf den Kulturstandort Deutschland. Wenn in Berlin von „Kultur“ die Rede ist, dann sind Straßenfestivals, Christopher-Street-Days oder sich selbst verwirklichende Kleinkünstler gemeint. Millionen fließen an grüne Klima-NGOs und in bundesgesetzlich verankerte Förderungen. Die Gegenwart ist wieder einmal der Vergangenheit überlegen. Ideologisch wie künstlerisch. Dass von all den Graffiti und der modernen Kunst in 400 Jahren wenig übrigbleiben wird, indes ein Caravaggio Menschen über hunderte Kilometer anzieht – das will man nicht verstehen. Und das, obwohl Caravaggios Biographie deutlich mehr von Licht und Schatten, Spannungen und Opfer gezeichnet ist, als die brave Vita des grünen juste Milieu.
Die Deutschen haben damit wieder ganz zu ihrem preußischen Naturell gefunden, das Zweckdenken und Effizienz verbunden sind. Schon Sanssouci selbst ist verglichen mit jedem italienischen Palazzo eine Beamtenstube. Das kurkölnische Schloss Augustusburg in Brühl versprüht mehr Pracht als die preußische Schreibtischstube, von der Pracht Schönbrunns ganz zu schweigen. Der „Alte Fritz“ hatte aber zumindest versucht, das Philistertum seiner Vorgänger etwas zu durchbrechen, indem er mit der Gemäldegalerie an europäische Standards anknüpfen wollte. Mit der Schließung der Galerie von Sanssouci ist man wieder in prä-friderizianischen Zeiten angekommen.
Es wäre übertrieben, wieder einmal den Untergang des Abendlandes zu beschwören, doch der Abschied von Caravaggio zeigt deutlich, wie viel man vom abendländischen Erbe hält. Die Zivilisation bewahrt ein Erbe auf, mit dem sie sich nicht mehr identifiziert; die Kunstkonservierung ist bloßes Ritual, der Hintergrund unbekannt. Wir sind an den Punkt angekommen, an dem man nicht einmal mehr die Tragweite des Vorgangs sieht. Antike Skulpturen sind ja auch weniger Opfer eines „großen Knalls“ gewesen, etwa einer Zerstörung durch marodierende Vandalen, denn vielmehr Opfer des nächsten Kalkbrenners, der sie aus ganz alltäglichen Bedürfnissen heraus zerstörte. Wer nicht weiß, was er tut, wenn er den „Thomas“ wegschließt, und wer auch nicht weiß, was ihm entgeht, wenn er dieses Zuschließen erlaubt, gehört bereits einer Fellachenkultur an.
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