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Die Finnlandwahl ist ein Signal für die europäischen Konservativen

2023-04-28
Zeit zum Lesen 10 min
Sanna Marin ist Geschichte. Das ist nicht ohne Ironie: Sonst ist es die „woke“ junge Generation, die Denkmäler großer historischer Persönlichkeiten umstößt. Dieses Mal stürzt mit Marin eine linke Ikone, die nur 37 Jahre alt ist. Sie war dabei bis ins liberale Lager hinein eine Galionsfigur. Das ist die erste Bilanz, die man nach der Finnlandwahl ziehen kann, bei der die konservativen Parteien siegten: ein leuchtender Hoffnungsstern des politischen Lagers links der Mitte ist genau so schnell verglüht, wie er aufgestiegen ist.

Dabei hat Marin die Wahl nicht im engeren Sinne verloren. Tatsächlich gab es für ihre sozialdemokratische Partei Zugewinne. Das kann allerdings nicht über die Signalwirkung hinwegtäuschen. Jung, weiblich, links – das mag auf dem Papier eine starke Komponente sein, aber offenbar ändert sich der Zeitgeist neuerlich. Wahlsieger Petteri Orpo gilt als spröde und ist mit seinen 53 Jahren auf dem besten Weg dahin, das zu sein, was man im Jargon der etablierten Medien als „alten, weißen Mann“ bezeichnet. 

Ob und wie die Regierungskoalition zustande kommt, ist immer noch nicht in trockenen Tüchern. Dass aber innerhalb kurzer Zeit neuerlich eine Vertreterin der Europäischen Volkspartei (EVP) mit einer Partei rechts davon in einem europäischen Land – wie zuvor in Schweden und Italien – koaliert, dürfte bei einigen linken Strategen für Stirnfalten sorgen. Die insbesondere von linken Medien befürwortete Brandmauer besteht nur noch in wenigen europäischen Ländern. Irgendwann könnte es Normalität sein, dass die Parias am runden Tisch sitzen dürfen. Das bedroht linke Mehrheiten. Nicht nur in Finnland.

Finnland ist vielleicht nicht das politisch oder ökonomisch bedeutendste Land der Europäischen Union. Aber es zeigt exemplarisch einige Entwicklungen auf. Denn die Niederlage der jungen woken Ikone hat etwa in Deutschland große Resonanz erfahren. Für die meisten Journalisten des Lagers links der Mitte war die Abwahl kaum verständlich. Dabei steht die Entwicklung in einem breiteren Zusammenhang. Die dänischen Sozialdemokraten haben in mehreren Fragen ihr Parteiprogramm nach rechts gerückt. In Schweden steht seit einigen Monaten eine Mitte-Rechts-Regierung am Ruder. Die nordischen Länder, sonst Sehnsuchtsort der Sozialdemokraten und Projektion von Pippi-Langstrumpf-Fantasien und Bullerbü-Idyll, verändern ihren politischen Charakter.

Dazu gehört ein weiteres Detail. Die Finnen-Partei (früher: Wahre Finnen) hat sieben Sitze im Parlament dazugewonnen und damit das beste Ergebnis ihrer Parteigeschichte eingefahren. Bemerkenswert ist, dass eine ihrer ersten Handlungen nach den Wahlen darin bestand, die Fraktion zu wechseln, der sie im EU-Parlament angehören. Sie wechselten ihre alte Heimat, die Fraktion Identität und Demokratie (ID), gegen die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) aus.

Man sollte dieses Signal nicht unterschätzen, denn es ist ein Richtungssignal (und für die ID auch ein Warnsignal). Seit Jahren arbeiten die Parteien rechts der EVP an einer gemeinsamen Lösung, um eine große Rechtsfraktion im EU-Parlament zu etablieren. Solche Gespräche scheiterten in der Vergangenheit nicht nur an inhaltlichen Gegensätzen, sondern auch am Führungsanspruch der verschiedenen Parteien. In jüngster Zeit hat der Ukraine-Krieg zu neuen Konflikten geführt, die auch mitten durch die ID-Fraktion selbst gehen.

Kennzeichnend war in den letzten Monaten dabei nicht zuletzt das Verhältnis zu Russland. Bereits vor dem Ukraine-Krieg kursierten Vorwürfe, gewisse Abgeordnete der ID fielen mit einer Affinität zu Wladimir Putin auf. Im italienischen Wahlkampf 2022 wollte man gar der Lega von Matteo Salvini anlasten, Gelder aus Moskau erhalten zu haben; Vorwürfe, die sich bereits nach wenigen Tagen als bloße Propaganda entpuppten. Teilen des „Rassemblement National“ wird immer wieder vorgeworfen, weiterhin den Verbündeten eher im Osten denn im Westen zu suchen.

Die Entscheidung der Finnen-Partei, von der ID zur EKR zu wechseln, erfolgt daher nicht im leeren Raum – insbesondere angesichts des NATO-Beitritts des nordischen Landes - ein Beitritt, den die Partei unterstützt hatte. Die EKR gilt als deutlich NATO-affiner als die ID. Wer ihr angehört, der bekennt sich deutlicher zur transatlantischen Vernetzung – und steht nicht im Verdacht, heimlich doch Sympathien für Russland zu empfinden. Die Estnische Volkspartei ist damit die letzte Partei aus einem osteuropäischen Land (das damit potenziell von Russland bedroht sein könnte), das in der ID verblieben ist.

Doch der Wechsel steht für eine weitere Entwicklung. Vor einigen Jahren hatte die ID, insbesondere aufgrund der vor Kraft strotzenden Lega aus Italien, erheblichen Rückenwind. Sie ist das eigentliche Fundament dieser Fraktion – 25 der 62 Abgeordneten sind Lega-Abgeordnete. Danach folgen der Rassemblement National (18) und die AfD (9). Doch die Konstellationen von 2019 sind nicht die Konstellationen von 2023 und vermutlich auch nicht die des Jahres 2024, dem Jahr der nächsten Parlamentswahl. Die Lega hat in den letzten Jahren erheblich an Stimmen eingebüßt und vor allem an die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni abgegeben. Fraglich bleibt auch, wie gut der Rassemblement National abschneidet – und wie die Zukunft der AfD aussieht, die im EU-Parlament intern zerstritten ist.

Damit wird eine Randnotiz möglicherweise ein Menetekel. Melonis Fratelli d’Italia dürften nächstes Jahr ihr Ergebnis deutlich verbessern, womit eine weitere Gewichtverschiebung zwischen den beiden italienischen Rechtsparteien – und damit den europäischen Fraktionen – unvermeidlich ist. Die Finnen, die derzeit nur zwei Abgeordnete stellen, haben wie die spanische Vox durchaus Chancen, ihr Ergebnis zu verbessern. Am Ende steht die Frage, ob die ID in ihrer minimierten Form nach 2024 weiterbestehen wird, oder ein ähnliches Phänomen wie bei der Finnen-Partei auftritt. Nach einer populistischen Phase in der rechten Parteiengesellschaft könnten dann ein Trend eintreten, der eher pro-USA und prinzipiell moderater ausgebildet ist als in den letzten Jahren. 

 

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